Das HTA-Verfahren des BAG: noch nicht ausgereift

Als Teil der Strategie «Gesundheit2020» beschloss der Bundesrat 2013, zur Beurteilung von Gesundheitsleistungen sogenannte «Health Technology-Assessments (HTA)»-Verfahren durchzuführen.

, 7. Januar 2021 um 12:11
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Eines der drei ersten Themen war - neben der Evaluation von Kniearthroskopien und Wirbelsäulenimplantaten - eine Re-Evaluation von «Eisensubstitution bei Eisenmangel ohne Anämie». Dieses Thema wurde 2015 in Angriff genommen und die Vernehmlassung im April 2020 abgeschlossen. Dies erlaubt nun erstmals eine Analyse des gesamten Evaluationsprozesses.

Warum mehr als fünf Jahre für dieses HTA?

Fünf Jahre sind eine lange Zeit, und es stellt sich die Frage, weshalb das so kam. Beim „Eisen-HTA“ kann eine Reihe von Ursachen ausgemacht werden:
Ein Grund liegt sicher in der unscharfen oder jedenfalls nicht hinreichend transparenten Operationalisierung der Zielkriterien von HTAs in der Schweiz, die gemäss Artikel 32 Absatz 2 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) auf einer Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit («WZW») basieren müssten. Gleichzeitig verweist das BAG auch auf die Vorschläge des Europäischen Netzwerks für HTA («EUNetHTA»), welches jedoch die WZW-Kriterien so nicht kennt.
Zum Zweiten ist es breiter internationaler Standard, dass HTAs nach vordefinierten Methoden und Einsatzfeldern durchgeführt werden. An solchen fehlt es in der Schweiz bis heute (vgl. dazu „Arten von HTA“).
Zudem wurde das «Scoping» und damit die Fragestellung des HTAs im Laufe des Prozesses mehrfach geändert. Ein solches Vorgehen ist aus wissenschaftlicher Sicht problematisch. Es könnte der Verdacht entstehen, dass der Auftraggeber resp. die beauftragten Institute diese Änderungen anbrachten, um das Resultat des Berichtes in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen. Das ist umso gravierender, wenn eine klare Trennung zwischen Entscheidungsträger und HTA-Umsetzenden fehlt.
Letztlich führte der einseitige Fokus auf die „Prüfung potentiell obsoleter Leistungen“ - verbunden mit einer eingeschränkten Erfassung des Nutzens - zu einem begrenzten Erkenntnisgewinn. Wichtige Aspekte wie “Lebensqualität” oder der “gesellschaftliche Nutzen” wurden nicht einbezogen. Es ist nun unklar, was mit den erlangten Erkenntnissen geschehen soll.

Aus Pilotversuchen lernen.

Wenn HTA als lernendes System beschrieben werden können, dann befinden sich die offizielle HTA in der Schweiz derzeit noch in einer vergleichsweise frühen Entwicklungsphase. Insoweit können die ersten vom BAG vorgelegten HTAs als Pilotanwendungen verstanden werden, die nützliche Ein¬sichten für die Weiterentwicklung des Systems liefern. Der Prozess der Entstehung des HTA-Berichts «Eisentherapie bei Eisenmangel ohne Anämie» bietet wertvolle Erkenntnisse für eine zukünftige transparente und rechtssichere Ausgestaltung von HTA in der Schweiz. Dies betrifft neben prozeduralen Themen und der Operationalisierung der Zielkriterien auch Aspekte wie die Identifikation bestehender Evidenzlücken und den Umgang mit sich daraus ergebendem weiteren Forschungsbedarf.
Professor Michael Schlander hat einen Lehrstuhl für Gesundheitsökonomie an der Universität Heidelberg inne und leitet die Abteilung Gesundheitsökonomie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). Er ist außerdem Gründer und Vorstandsvorsitzender des Instituts für Innovation & Evaluation im Gesundheitswesen (InnoValHC) mit Sitz in Wiesbaden. In der Schweiz referierte Schlander zuletzt am 6. Swiss Healthcare Day in Bern (Kursaal) am 15. Januar 2020 zum Thema «WZW und HTA: Wie steht es um die Kosten-/ Nutzen-Beurteilung in der Schweiz?». Er hat ein Auftragsgutachten aus gesundheitsökonomischer Sicht zum Schweizer HTA «Eisensubstitution bei Eisenmangel ohne Anämie» erstellt.

Einsatzfelder und Methoden von HTA:

International sind schnelle «Rapid-HTAs», «Fast HTAs» oder «Single Technology Appraisals» (in England) verbreitet; in Deutschland beispielsweise als «Frühe Nutzenbewertungen». Sie haben die Funktion, den Prozess der Aufnahme neuer Produkte und Verfahren in den Leistungskatalog der OKP und Entscheide über ihre Erstattungsbedingungen und -preise zu informieren. Anders verhält es sich mit «Multiple Technology Appraisals», wie sie zum Beispiel in England überwiegend für die vergleichende Bewertung von Bestandstechnologien zum Einsatz kommen. 
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