Bund im Umgang mit Tardoc in der Kritik

Der Bund räumt der Prüfung des neuen ambulanten Tarifvorschlags offenbar keine hohe Priorität ein. Für die Befürworter ist klar: Statt sich in «akademischen Wortklaubereien» zu verlieren, sollte die gemeinsame Struktur nun aufgegriffen werden.

, 16. Dezember 2019 um 06:20
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Die Ärzteverbindung FMH und der Verband der Kassenschwergewichte Curafutura haben im Frühsommer der Bundeskanzlei ihre Tarifstruktur Tardoc überreicht. Gemeinsam. Ein «lange angestrebtes und unter grossen Anstrengungen hart erarbeitetes Ziel war erreicht», hiess es. Auch neutrale Beobachter werteten diesen Schritt als «gesundheitspolitischen Erfolg». Ja sogar von einem «veritablen Durchbruch» war die Rede. 
Heute, vier Monate später, ist diese Euphorie ein wenig verblasst: Denn die Prüfung des revidierten Tarifvorschlags geniesst beim Bund offenbar keine hohe Priorität. Dies stellt FMH-Ärztepräsident Jürg Schlup in der «Schweizerischen Ärztezeitung» fest. Obwohl der Bund über Jahre hinweg regelmässig auf die hohe Dringlichkeit der Tarifrevision hingewiesen habe.

BAG: Zügige Genehmigung ist nicht möglich

«Bis heute – mehr als vier Monate nach Eingabe des Tarifs – steht eine formelle Rückmeldung über das weitere Verfahren und den zeitlichen Ablauf noch aus», schreibt er im Beitrag «Wer will Teil der Lösung sein?». Bis und Mitte Oktober haben die Tarifpartner sämtliche vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) geforderten Unterlagen zum Genehmigungsgesuch nachgereicht.
Der Bund scheint sich im Umgang mit der neuen Tarifstruktur, so scheint es, also reichlich Zeit zu lassen. Oder er spielt vor dem Hintergrund der angestrebten Gesetzesreformen im Gesundheitswesen auf Zeit, könnte man als Aussenstehender meinen. 
Wann der Abschluss der Genehmigungsphase nun so weit ist, bleibt offen. Der Bundesrat hat vor kurzem geschrieben, aktuell könnten nicht einmal «Angaben dazu gemacht werden, ob und wann eine allfällige Vernehmlassung zu einer Tarifstruktur für ambulante ärztliche Leistungen eröffnet werden kann».
Das BAG nennt auf Anfrage von Medinside zwei Gründe für die Verzögerung: 
  • Erstens habe sich nur ein Teil der Tarifpartner an der Eingabe beteiligt. 
  • Und zweitens bestehe de facto unter den betroffenen Tarifpartnern auch keine Einigung zu einer gemeinsamen Tarifstruktur beziehungsweise zu der kostenneutralen Einführung. 
So sei eine Genehmigung und eine zügige Abwicklung nicht möglich, teilt das BAG mit. Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) wird den Bundesrat im Verlauf des Jahres 2020 über die Ergebnisse und die weiteren Schritte informieren.

Zugrunde liegt ein und dieselbe Tarifstruktur

Für den Ärzteverband wirken diese genannten Gründe nur wenig lösungsorientiert: Die eingereichte Tarifstruktur lasse zwar zwei Varianten einer kostenneutralen Einführung zu, ändere jedoch nichts daran, dass ein und dieselbe Tarifstruktur zugrunde liege. Beide Tarifpartner bekennen sich zudem zur Kostenneutralität. Und es sei schliesslich dem Bundesrat überlassen, welches der beiden Kostenneutralitäts-Konzepte er zur Anwendung bringe. 
«Diese gemeinsame Struktur als Lösungsweg aufzugreifen, wäre das Gebot der Stunde – statt sich in akademischen Wortklaubereien zu verlieren», schreibt Schlup.
Und auch wenn sich nicht alle Tarifpartner beteiligt hätten, lege diese Tarifrevision die Basis für eine nachhaltige Lösung, so der Ärztepräsident weiter. «Auf Grundlage der vorgelegten Struktur kann der Bundesrat einen klaren Prozess mit einem konkreten Zeitplan definieren und die aus seiner Sicht notwendigen Schritte für eine schnellstmögliche Inkraftsetzung bekannt geben.»

Scheitern der Revision scheint attraktiv zu sein

Seit Jahren ist der Konsens für eine Tarifrevision blockiert. Je länger nun die Tarifpartner aber zuwarten, desto höher steigt der (politische) Druck, eine aktualisierte Tarifstruktur vorzulegen. Was Politiker jeglicher Couleur auch mal vorschnell zu gefährlichen Schnellschüssen verleiten kann. Klar ist: Der Tarmed ist veraltet, nicht mehr sachgerecht und ­widerspiegelt auch nicht mehr die betriebswirtschaftliche und medizinische Realität.
Ein Scheitern der Tarmed-Revision scheint laut Schlup für einige Akteure sogar attraktiv zu sein: «Wer glaubt, dass der Bundesrat mit seiner subsidiären Kompetenz die eigenen Interessen im Zweifelsfall durchsetzen wird, setzt nicht auf tarifpartnerschaftliche Lösungen», schreibt er. Höchstwahrscheinlich meint der FMH-Präsident hier vor allem die Haltung des Krankenkassenverbands Santésuisse. Plötzlich scheint der Pauschaltarif in der Gesundheitspolitik ja die Lösung für alle Probleme zu sein. Aber gleichzeitig erinnert Schlup wohl auch an die gefährliche Resignation des Spitalverbands H+.

Blockierer belohnen oder konstruktive Kräfte stärken?

Soll es den konstruktiven, einreichenden Akteuren FMH und Curafutura, so Schlup, nun zum Nachteil gereichen, dass andere sich verweigern? Eine Frist, sich zu einigen oder «Sonderrechte für Blockierern», würde letztlich «die Verweigerung belohnen - und eine tarifpartnerschaftliche Revision stark verzögern oder verhindern». Das Beispiel des neuen umfassenden Tarif Tardoc zeigt ja: Die Tarifpartnerschaft kann funktionieren, und ist wahrscheinlich besser als weitere Behördeneingriffe und Amtstarife.
Nun liegt es am Bundesamt für Gesundheit (BAG) den Startschuss für den neuen ambulanten und zukunftsweisenden Tarif zu geben - oder halt alle Akteure wieder auf Feld eins zurück zu schicken. Wer eine tragfähige partnerschaftliche Tarifrevision möchte, sollte laut der FMH nun «die konstruktiven Kräfte stärken», die eine solche Tariflösung liefern. Für FMH-Ärztepräsident Schlup und seine über 40'000 Ärzte im Hintergrund ist klar: Der Umgang des Bundes mit dem eingereichten und innerhalb der Ärzteschaft mehrheitsfähige Tarifvorschlag werde zeigen, wer Teil der Lösung sein wolle.
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