Früher das Bankgeheimnis, heute der Medizintourismus

Ein nigerianischer Ex-Diktator lässt sich wochenlang in der Schweiz behandeln, während das Land in den eigenen Problemen erstickt. Das schafft Konfliktpotenzial.

, 24. Februar 2017 um 11:46
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Nigeria ist für eine der höchsten Säuglings- und Müttersterblichkeit bekannt. Aber zugleich kommen regierungsnahe Personen in den Genuss von Spitzenmedizin im Ausland – und das weckt mehr und mehr Unmut in der Bevölkerung.
An die Öffentlichkeit kam jetzt der Fall von Nigerias Ex-Diktator Ibrahim Badamasi Babangida. 
IBB, wie er genannt wird, war von 1985 bis 1993 Militärdiktator des westafrikanischen Riesensstaates gewesen. Jetzt liess er sich während rund sieben Wochen in der Schweiz medizinisch behandeln. Dies wurde offiziell bestätigt

Wo in der Schweiz, ist unklar

Vor wenigen Tagen kehrte Babandiga nach Nigeria zurück, «hale and hearty», wie der 76-Jährige verlauten liess. In welchem Spital er sich in der Schweiz aufgehalten hatte, ist unklar. Ebenso, um welches Gesundheitsproblem es ging. 
Klar ist aber: Letztes Jahr war IBB bereits nach Deutschland gereist. Auch dort ging es um medizinische Tests. 
Das Problem: Für die teuren Behandlungen muss letztlich eine Bevölkerung aufkommen, die von Armut und Krankheiten geplagt, aber zugleich von Gesundheitsdienstleistungen oft ganz ausgeschlossen ist.

Eine Milliarde Dollar für Regierungs-Therapien

Ein funktionierendes Gesundheitssystem fehlt im erdölreichen Land, obwohl die Politiker immer wieder ankündigen, solch ein System auf die Beine stellen zu wollen. 
Wie viel die Steuerzahler für die Schweiz-Reise ihres ehemaligen Staatschefs bezahlen, bleibt im Dunkeln. Grundsätzlich aber schätzt das Gesundheitsministerium in Abuja selber, dass Nigeria 2014 rund eine Milliarde US-Dollar für government officials ausgab, die zur medizinischen Behandlung ins Ausland gereist waren. Für 2015 wird die Gesamtsumme der nigerianischen Ausgaben für Medizinaltourismus auf 6,3 Milliarden Dollar veranschlagt.

Fünf Spital-Betten auf 100'000 Menschen 

Das gibt zu denken, wenn man berücksichtigt, dass mehr als die Hälfte der 185-Millionen-Bevölkerung mit weniger als einem Dollar am Tag auskommen muss. Alleine die Regierungs-Gesundheitstourismus-Ausgaben ergäben also pro Kopf fünf Dollar. 
Auf 100’000 Menschen kommen in Nigeria gerade mal fünf Spitalbetten und nicht einmal ein Arzt. Das birgt hohes Konfliktpotenzial – und dieses scheint langsam akut zu werden. Jetzt wurde der amtierende Präsident Muhammadu Buhari scharf kritisiert, weil er sich ebenfalls im Ausland behandeln liess – in Grossbritannien, genauer gesagt in London. Grund: eine Ohreninfektion. 
Dabei  hatte Buhari noch zwei Monate zuvor etwas Gegensätzliches verlauten lassen. Damals sagte der Präsident, seine Regierung bezahle keine medizinischen Dienstleistungen mehr im Ausland, die auch in Nigeria verfügbar seien.

Die Ärzte flüchten auch ins Ausland

Jiti Ogunye, ein prominenter Menschenrechts-Anwalt, erhob beispielsweise massive Anklage: In einem Fernsehauftritt ätzte er, die Nigerianer hätten eigentlich die nötige Intelligenz, um ihren Präsidenten zu behandeln; aber die brillantesten Ärzte Nigerias arbeiteten im Ausland, weil die Situation in ihrem Land so frustrierend ist; und es sei nicht normal, dass die Menschen zuhause auf der Strasse sterben, aber die Führer sich zum Sterben ins Ausland begeben. 
Auch der 2010 verstorbene frühere nigerianische Staatspräsident Umaru Yar'Adua liess sich mehrere Auslands-Aufenthalte zu medizinischen Zwecken vom Steuerzahler finanzieren, unter anderem in Saudi-Arabien.

Heute Babandiga, früher Abacha

Insgesamt wirft die nigerianische Debatte ein interessantes Licht auf den Medizintourismus. Man ahnt: Nachdem sich einst die Schweizer Banken als Zufluchtsort für Diktatoren und Ex-Diktatoren profiliert hatten, hat die Gesundheitsbranche heute eine ähnliche Attraktivität – Swiss Quality, Schweizer Diskretion. Indirekt stellt der Medizintourismus damit durchaus vergleichbare moralische Fragen in den Raum wie früher das Bankgeheimnis. Wenn auch in deutlich abgeschwächter Form. 
Beim Bankgeheimnis erwies sich bekanntlich ein nigerianischer Fall als besonders dramatisch und auch wegleitend: Er drehte sich um Sani Abacha, Militärdiktator von 1993 bis 1998 – der direkte Nachfolger von IBB. Abaches Machenschaften führten schliesslich dazu, dass die Schweiz fast eine Milliarde Dollar an Nigeria zurückbezahlen musste. 
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