In den nächsten Wochen entscheiden die US-Behörden über die Zulassung eines neuen Medikaments gegen Alzheimer: Donanemab von Eli Lilly ist es dieses Mal. Aducanumab und Lecanemab von Biogen heissen die beiden anderen Wirkstoffe, auf welche die Alzheimer-Forschung grosse Hoffnungen setzt.
Eingeengte Sichtweise
Der Neurobiologe
Christian Behl kritisiert die Forschung zu den neuen Heilmitteln. Es sei eine eingeengte Sichtweise. Und weil die Wissenschaft zu lange auf eine einzige Theorie fokussiert habe, sei der Fortschritt blockiert worden.
Konkret bemängelt er: Die Forschung habe sich immer nur auf die Protein-Ablagerungen im Gehirn konzentriert. Andere Dinge seien ausgeblendet worden.
Protein nicht der Auslöser
Dabei habe bereits Alois Alzheimer bei seinen Untersuchungen sehr viel mehr gesehen, sagt Behl: etwa Veränderungen in der Gefässstruktur des Gehirns und Fettablagerungen.
Behl nimmt mittlerweile an, dass es verschiedene äussere Einflüsse und genetische Prädisposition sind, die zur Entstehung der Krankheit beitragen. Er hält die Protein-Ablagerungen nicht für den entscheidenden Auslöser der Krankheit. Sondern nur für eine Begleiterscheinung anderer Abläufe der Erkrankung.
Nur wenig wirksam
Trotzdem basieren alle drei neuen Medikamente gegen Alzheimer auf der 30 Jahre alten Hypothese, dass diese Ablagerungen die erste Hauptrolle beim Verfall der kognitiven Fähigkeiten bei Alzheimer spielen.
Lecanemab soll die Entstehung der Ablagerungen im Gehirn verhindern, Donanemab soll sie entfernen. Die neu entwickelten Therapien mit Antikörpern führten jedoch lediglich zu einer moderaten Verlangsamung des geistigen Verfalls der behandelten Personen.
Forschung in Euphorie
Doch warum setzen die Pharma-Unternehmen immer noch auf die alte Hypothese? Christian Behl zeigt Verständnis dafür.
Er war selber in der Forschung zu den Protein-Ablagerungen tätig und schilderte die damals vorherrschende Stimmung: «Die Daten haben toll gepasst, die Forschung hat sich selbst gefeiert und es schien nur noch eine Frage der Zeit, bis wir einen therapeutischen Effekt sehen würden.» Andere Funde seien in der Euphorie einfach unter den Teppich gekehrt worden.
Milliarden für Entwicklung
In einem
Interview auf «Infosperber» erklärt er ausserdem, dass Arzneimittelhersteller in den vergangenen Jahrzehnten Milliarden in die Entwicklung und Zulassung von Therapien gegen die Ablagerungen gesteckt hätten.
«Der ganze Prozess ist vergleichbar mit einem riesigen Tanker, der sich nicht einfach von heute auf morgen umsteuern lässt.»
Zu teuer, um aufzugeben
Die Hersteller würden das Mittel nun nicht allzu schnell aufgeben. Das Festhalten an der alten Hypothese habe auch psychologische Gründe. Grosse Egos würden darunter leiden, wenn ihre Ideen infrage gestellt werden.
Sie seien es gewohnt, einfach Recht zu haben – und wollten nicht, dass sich das ändere.
«Neue Ansätze werden seltener»
«Die Stimmung in der Wissenschaft insgesamt hat sich in den letzten Jahren geändert. Erst kürzlich haben Studien gezeigt, dass Forschung, die dominante Ansätze herausfordert – sogenannte disruptive Forschung – seltener wird. Und das ist ein Problem. Denn wie schon René Descartes wusste: Dubium sapientiae initium – Zweifel ist der Weisheit Anfang.»
Christian Behl glaubt trotzdem daran, dass sich bald etwas verändern könnte und sich die Alzheimer-Forschung neuen Ansätzen gegenüber öffnen werde.