Sind auch wirklich alle Operationen nötig?

Die drohenden Prämiensteigerungen sorgen gerade wieder für Schlagzeilen. Doch statt von Prämien wäre es zielführender, von Kosten reden. Sie liessen sich etwa dort senken, wo falsche Anreize bestehen.

, 7. September 2023 um 05:59
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Spitäler müssen in gewissen Fachbereichen eine Mindestzahl von Eingriffen vorweisen können, um via obligatorischer Grundversicherung abrechnen zu können. | zvg
Es schleckt keine Geiss weg, bonusgetriebene Lohnsysteme führen dazu, dass eher zu viel als zu wenig Eingriffe getätigt werden. Und wenn Spitäler und ihre Ärztinnen und Ärzte vom Kanton nur dann den Leistungsauftrag erhalten, wenn sie bestimmte Mindestfallzahlen erreichen, so lassen sie nichts unversucht, eben diese Fallzahlen zu erreichen. Das liegt in der Natur der Sache.
So sei an die Kostensenkungsmassnahmen erinnert, welche eine 14-köpfige Expertengruppe unter der Leitung der ehemaligen Ständerätin Verena Diener im September 2017 der Öffentlichkeit präsentierte.

Vermeidung von Fehlanreizen

38 Massnahmen schlugen die Experten vor. Darunter auch Massnahmen zur Vermeidung von Fehlanreizen. So sollen nur jene Spitäler auf die Spitalliste gesetzt werden und damit über die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) abrechnen dürfen, welche keine mengenmässigen Boni und Kickbacks tolerieren.
So steht im 131 Seiten starken Bericht der Expertengruppe: «Diese Massnahme wird die heute existierenden Fehlanreize für Ärzte hinsichtlich medizinisch nicht gerechtfertigten Mengenausweitungen entscheidend reduzieren.»
Wie hoch die Höhe der Kostenersparnis ausfallen könnte ist zwar nicht bekannt. Laut den Experten dürfte sie den Kontrollaufwand seitens der Kantone und allenfalls der Versicherer «um ein Vielfaches übersteigen.» Daneben dürften sowohl die Arbeitszufriedenheit der Ärzte als auch die Behandlungsqualität zunehmen.
Passiert ist in dieser Sache nichts. Die Kantone hätten «kä Luscht», diese Massnahme zu prüfen, konstatiert der Gesundheitsökonom Heinz Locher hier gegenüber Medinside. Locher war selber Mitglied der genannten Expertenkommission.
Ins gleiche Kapital gehört Massnahme Nummer 11: die Schaffung von Indikationsboards. Es geht hier darum, dass nicht ein einzelner Arzt darüber entscheidet, wie weit eine grössere Operation notwendig ist, mit der er allenfalls sein Gehalt aufbessern und das entsprechende Spital die geforderte Mindestfallzahl erreichen kann.

Medizinische Boards

«Die Massnahme 'Indikationsboards' bezweckt eine Einflussnahme auf die Indikationsstellung für Wahleingriffe insbesondere dort, wo aufgrund geographischer Unterschiede eine gewisse Überversorgung vermutet werden kann», so im Bericht nachzulesen.
Und weiter: «Die Einführung und Förderung von Indikationsboards erhöht die Indikationsqualität und damit den zielgerichteten Einsatz von Leistungen und verhindert unnötige Behandlungen mit entsprechenden Kostenfolgen.»
Schon heute bestehen insbesondere im onkologischen Bereich entsprechende Erfahrungen. In grösseren medizinischen Zentren ist die interdisziplinäre Besprechung des diagnostischen und therapeutischen Vorgehens die Regel.
Potentielle Mitglieder solcher Boards sind primär Fachgesellschaften und Spitäler sowie auch die Tarifpartner, welche entsprechende Strukturen und Prozesse verankern können, unter anderem in Qualitätsverträgen.
Dass diesbezüglich nichts unternommen wurde, ist laut Locher ein weiterer Beweis des Systemversagens. Die Koppelung dieses Instruments mit Tarifverträgen nach dem Motto «ohne Board, keine Vergütung», wäre einfach umzusetzen.

Förderung Zweitmeinung

Diese Massnahme Nummer 11 der Indikationsboards hat einen direkten Bezug zu Massnahme 13: «Förderung Zweitmeinung». Das Fazit der Experten: Mit der Förderung der Praxis von Zweitmeinungen lassen sich die Indikationsqualität verbessern und Kosten für unnötige oder nicht wirksame Leistungen sowie deren Nebenwirkungen oder Zwischenfälle vermindern.»
Dazu Heinz Locher: «Auch hier findet unverständlicherweise keine Intensivierung statt.»
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