Ab Juli 2026 werden auch in der Schweiz Kosten von digitalen Gesundheitsanwendungen durch die Krankenkassen übernommen. Konkret können Apps zur kognitiven Verhaltenstherapie bei Depressionen vergütet werden. Das Innendepartement EDI hat dazu die sogenannte Krankenpflege-Leistungsverordnung erweitert.
Die digitalen Therapieangebote können ergänzend zu einer Psychotherapie eingesetzt werden – oder als Überbrückung bis zum Beginn einer Psychotherapie. Die Krankenkasse wird dabei Anwendungen zur Behandlung von leichten bis mittelschweren depressiven Episoden oder von wiederkehrenden depressiven Störungen vergüten – sofern sie von einem Arzt mit dem erforderlichen Fachtitel verschrieben wurden.
Damit gelangen nun auch Digital-Tools auf die sogenannte Mittel- und Gegenständeliste (MiGeL), die auflistet, welche Medizinprodukte von den Kassen vergütet werden.
Deutschland: 73 Apps auf Rezept
Die grosse Vorreiterrolle in diesem Feld spielt Deutschland. Dort gibt es seit 2020 ein institutionalisiertes Verfahren, mit dem Apps & Co. in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen werden. Momentan stehen 73 digitale Gesundheitsanwendungen, kurz «DiGA»,
im entsprechenden Verzeichnis.
Am häufigsten werden DiGA zur Behandlung von psychischen Erkrankungen vergütet (30 Prozent), gefolgt von Angeboten gegen Stoffwechselkrankheiten (28 Prozent) sowie bei Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems (16 Prozent).
Die meistgenutzten (und meistvergüteten) Einzelprodukte waren letztes Jahr Oviva (Abnehm-App), Vivira (Training gegen Rückenschmerzen), Kalmeda (Tinnitus-Therapie), Zanadio (Abnehm-App) und die Endo-App (Endometriose-Beobachtung).
Die Frage ist: Welche Angebote werden vergütet? Deutschland hat eine dazu einfache Regelung: Sie erlaubt eine vorübergehende Erstattung – auch wenn keine endgültigen klinischen Belege für die Wirksamkeit einer App vorliegen. Die Erstattung wird endgültig, wenn die klinischen Daten innert zwei Jahren eine therapeutische Wirkung bestätigen. Andernfalls wird die App aus dem DiGa-Katalog gestrichen.
Wird das überhaupt genutzt?
Zwar sind die Entwickler von Gesundheits-Apps verpflichtet, danach den Kassen für ihre DiGAs ohne nachgewiesene Wirkung zurückzuzahlen; allerdings müssen nur die ab dem 13. Monat eingenommenen Beträge an die Krankenkassen zurückfliessen.
Die Sache erweist sich offenbar als zweifelhaft. Der durchschnittliche Preis der im Jahr 2024 genutzten Produkte lag bei 585 Euro. «Diese Beträge werden dabei im Gros für Produkte aufgerufen, deren Nutzen und Wirksamkeit in keiner Weise belegt sind», resümierte der Dachverband der deutschen Krankenkassen jüngst in einem Bericht. «Ob sie den Versicherten wirklich helfen oder ob sie von den Versicherten überhaupt genutzt werden, bleibt völlig offen.»
Frankreich: «Innovationsvermutung»
Frankreich kennt eine ähnliche Regelung mit der Bezeichnung
«Pecan» (Prise en charge anticipée numérique). Auch «Pecan» ist als «Ausnahmeregelung» gedacht: Es soll die Kostenerstattung für digitale therapeutische Medizinprodukte und medizinische Fernüberwachungs-Mittel beschleunigen.
Frankreichs staatliche Krankenversicherung offeriert eine einjährige Übergangsregelung, wonach Vorstudien genügen, die eine «Innovationsvermutung» begründen – die Frage nach dem klinischen Nutzen oder anderen Fortschritten stellt sich dann später.
Denn die Initiative gehört zur Strategie der Regierung in Paris, Frankreich zum europäischen
Leader im Feld der digitalen Gesundheit zu machen. So bietet das Gesundheitsministerium den Herstellern von digitalen Gesundheitsdiensten auch günstige finanzielle Bedingungen, um ein entsprechendes Ökosystem zu fördern.
Offene Fragen
Während Frankreich die Kostenerstattung für Gesundheits-Apps auf
780 Euro pro Patient und Jahr begrenzt, schwanken die Preise für DiGAs in Deutschland stark: Die Spanne reicht von 119 bis über 2'000 Euro. Die Preise werden ohne echte Vergleichswerte ausgehandelt, was zu hohen Gewinnspannen führt, die von den Krankenkassen getragen werden.
Es stellt sich auch die Frage nach der tatsächlichen Akzeptanz: Werden die Anwendungen genutzt? Im Jahr 2024 stellte die für die Bewertung der Apps zuständige
französische Behörde fest, dass «bis heute keine Indikatoren existieren, mit denen die tatsächliche Nutzung der Lösung bewertet werden kann»; sie forderte die Betreiber auf, solche Daten in Zukunft zu sammeln.
Kurz: Die Schweiz verfolgt einen viel vorsichtigeren Ansatz als ihre grossen Nachbarn: Gesundheitsanwendungen sind nur für einen Zeitraum von 90 Tagen erstattungsfähig, und klinische Nachweise müssen bereits beim ersten Antrag vorgelegt werden.
Es ist wird sich weisen müssen, ob dieser Ansatz der Auftakt zu einer ehrgeizigeren Entwicklung ist, welche die Schweiz letztlich an Länder wie Frankreich oder Deutschland angleichen könnte.