Sarah Tschudin Sutter: Die stille Krisenmanagerin

Sarah Tschudin Sutter forscht, wie Menschen im Spital vor Infektionen geschützt werden können - besonders vor antibiotikaresistenten Keimen. Sie war Teil der Covid-19-Taskforce und berät bis heute den Bund.

, 15. Februar 2022 um 23:00
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Sarah Tschudin-Sutter von der Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene Universitätsspital Basel. | SNF
Sie ist es gewohnt, in Notsituationen schnelle Entscheidungen zu treffen. Das musste Sarah Tschudin Sutter auch damals im März 2020 tun, als Matthias Egger, der Präsident des Nationalen Forschungsrats, bei ihr anrief. Er stellte im Auftrag des Bundes gerade die «Swiss National Covid-19 Science Task Force» zusammen und suchte eine Expertin zum Thema Infektion, Prävention und Kontrolle. Der Bundesrat hatte kurz zuvor einen Lockdown verordnet, die Ereignisse in Europa überschlugen sich und Bilder von langen Reihen mit Särgen vor Spitälern in Bergamo verbreiteten Angst und Schrecken.
Die Infektiologin sagte sofort zu, auch wenn sie nicht wissen konnte, was durch den weiteren Pandemieverlauf noch auf sie zukommen würde. «Mein Fachgebiet stand plötzlich im Rampenlicht - und ich wollte meinen Beitrag leisten, um diese Krise zu meistern», sagt die heute 46-Jährige. "Doch für diejenigen in der Taskforce, die gleichzeitig in der Klinik arbeiteten, war die Belastung besonders hoch, denn auch die Arbeit im Spital nahm stark zu."
Lehre aus Kuwait: Spitalhygiene ist wichtig
Tschudin Sutter gehörte nicht zu den lauten Stimmen in der Task Force. Sie exponierte sich selten; den Umgang mit den Medien fand sie schwierig. Die Leiterin der Spitalhygiene des Universitätsspitals Basel und Professorin für Infektionsepidemiologie an der Universität ist zurückhaltend und wählt ihre Worte bedacht. Sie ist keine, die ihre Leistungen zur Schau stellt. Gelegentlich lacht sie sogar etwas verlegen, als wäre es ihr unangenehm, über ihre erfolgreiche Karriere zu sprechen. Dass sie sich vor über 20 Jahren für ein Medizinstudium entschied, war ein Kopfentscheid, denn eigentlich war sie fasziniert von der Biologie. «Aber ich wollte eine Berufsausbildung, etwas Handfestes.» Entgegen anfänglichen Bedenken ihrer Eltern, dass sie ein dermassen anspruchsvolles Studium zu sehr beanspruchen würde, gefiel ihr das Studieren.
Ihre Leidenschaft für Forschung und Infektiologie kam während der Ausbildung als Fachärztin. 2011 ging sie als Postdoc mit einem Stipendium des Schweizerischen Nationalfonds für zwei Jahre an das renommierte «The Johns Hopkins Hospital» in Baltimore, wo sie gleichzeitig einen Master in Epidemiologie absolvierte. «Der Perspektivenwechsel war wertvoll.» Sie lernte ein anderes Gesundheitssystem kennen, wobei Faktoren wie die Kriminalität und Armut in Baltimore viel ausgeprägter waren als in Basel. Gerne erinnert sie sich auch an drei Besuche des «Adan Hospital» in Kuwait, das vom US-amerikanischen Spital beraten wurde. «Das Spital stand quasi mitten in der Wüste», erinnert sich Tschudin Sutter. «Die Hitze sorgte dafür, dass die Infrastruktur schnell verwitterte sowie Infektions- und Präventionsmassnahmen nur schwer umsetzbar waren.» Zudem fehlte es an moderner Diagnostik, die Handhygiene war oft mangelhaft und multiresistente Keime verbreiteten sich schnell. Die Infektiologin erlebte dort die drastischen Folgen einer ungenügenden Spitalhygiene hautnah.
Resistente Keime kommen in die Krankenzimmer
2013 kehrte Tschudin Sutter an das Universitätsspital Basel zurück, wo sie auch mit mehrfacher Unterstützung durch den SNF ihre erste Forschungsgruppe aufbaute. Dort wurde sie später auch Professorin. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Ausbreitung von Keimen in Spitälern, die gegen mehrere Antibiotika resistent sind. Aktuell forscht sie zu einer speziellen Gruppe von Bakterien, den sogenannten ESBL-produzierenden Enterobacterales. …Als ich 2009 erstmals in der Spitalhygiene arbeitete, waren solche Bakterien im Spital noch relativ selten. Doch seither haben sie rapide zugenommen.» Für gesunde Menschen sind die Bakterien unproblematisch, doch bei einer Infektion, zum Beispiel während einer Operation, können sie tödlich wirken.
Lange Zeit gingen Fachleute davon aus, dass sich Patientinnen und Patienten vor allem in Spitälern aufgrund mangelhafter Hygiene mit Enterobacterales infizieren. In einer gross angelegten Studie ging die Epidemiologin den Ursachen auf den Grund. Dafür analysierte ihr Team während zwei Jahren Abwasserproben des Universitätsspitals und Wasserproben an verschiedenen Stellen der Kanalisation Basels. Das überraschende Resultat: In 96 Prozent der Abwasserproben befanden sich ESBL-produzierende Enterobacterales. Durch Sequenzierung von Bakteriengenen und Vergleichen mit Proben aus einem Archiv des Universitätsspitals konnten die Forschenden auch nachvollziehen, ob Patientinnen und Patienten die Enterobacterales eher im Spital aufgelesen oder von aussen eingeschleppt hatten. «Vieles deutet daraufhin, dass sich die Bakterien in erster Linie ausserhalb des Spitals ausbreiten», fasst Tschudin Sutter die Ergebnisse zusammen.
Der zweite Forschungsschwerpunkt ist die Spitalhygiene. Kürzlich hat die Epidemiologin eine Studie zur Händedesinfektion durchgeführt, denn bis heute gelten kontaminierte Hände als die wichtigste Übertragungsquelle für gesundheitsschädliche Keime in Spitälern. Die WHO schlägt sechs Schritte für eine umfassende Händedesinfektion vor. «Die wenigsten können sich diese Schritte überhaupt merken. Dadurch ist die Methode im Spitalalltag nur schwer praktikabel», sagt die Forscherin. Sie hat deshalb eine Methode mit nur drei Schritten getestet. Dafür steckten Studierende ihre Hände zuerst in eine Lösung voller Bakterien und reinigten diese anschliessend - je nach Studiengruppe - mit der 3- oder 6-Schritt-Methode. «Das Ergebnis war vergleichbar», sagt Tschudin Sutter. Die Methode wurde daraufhin am Universitätsspital Basel eingeführt und dort in der Praxis weiter wissenschaftlich begleitet. Aktuell prüft die WHO, ob sie ihre globale Empfehlung für die 6-Schritt-Methode anpassen soll.
Weiterhin Covid-19-Beraterin
Als im März 2022 die Covid-19 Task Force aufgelöst wurde, war Tschudin Sutter erstmal froh, endlich wieder mehr Zeit für ihre eigene Forschung zu haben. Doch die nächste Anfrage liess nicht lange auf sich warten: Tanja Stadler, Biostatistikerin an der ETH Zürich und Leiterin des wissenschaftlichen Beratungsgremiums, das auf die Task Force folgte, wählte die Basler Infektiologin als eine von 14 Forschenden, die dem Bund weiterhin beratend zur Seite stehen sollen. «Ich habe mir natürlich schon überlegt, ob ich das nochmals machen soll», gesteht Tschudin Sutter. Schliesslich sei nicht nur die eigene Forschung, sondern auch das Privatleben während der Pandemie zu kurz gekommen. Damals, im Frühling und Sommer 2020 sah sie ihren Mann, einen Neurologen und Intensivmediziner, der auf der Intensivstation des Universitätsspitals arbeitet, praktisch nur während kurzen Pausen am Spital. Trotzdem sagte sie wieder zu. «Ich habe während der Pandemie mit Expertinnen und Experten zusammengearbeitet, die ich sonst niemals kennengelernt hätte. Das war sehr bereichernd.»
  • Dieses Portrait ist zuerst auf der Webseite des Schweizerischen Nationalfonds erschienen.

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