Herr Gaisl, Sie sind auf robotisch-assistierte Bronchoskopie spezialisiert. Wie läuft so ein Eingriff konkret ab?
Die Patienten befinden sich in Vollnarkose unter Muskelrelaxation. Zur Minimierung der Atembewegungen nutzen wir ein etwa 20-minütiges Atemstillstandsfenster. In diesem Zeitraum wird ein aktuelles 3D-Bild mit dem Navigationssystem fusioniert, sodass ein sogenannter hybrider Eingriff entsteht und die Biopsie exakt durchgeführt werden kann. Der Roboter stabilisiert und verstärkt die Präzision, aber die Steuerung bleibt vollständig in ärztlicher Hand.
Das Universitätsspital Zürich ist europaweit das erste Zentrum, das robotisch-assistierte Bronchoskopien mit integriertem Cone-Beam-CT anbietet. Worin unterscheidet sich das vom klassischen Vorgehen? Früher waren wir auf einen Zugang über die kleinen Atemwege angewiesen. Mit der Fusion von 3D-Bildgebung und Robotik können wir heute auch in das Lungenparenchym vordringen und unabhängig der Atemwege millimetergenau navigieren. Der eigentliche Gamechanger ist also die Kombination der beiden Geräte, welche eine permanente räumliche Orientierung ermöglichen. So lassen sich auch kleine, periphere Läsionen biopsieren, die früher praktisch unerreichbar waren. Das erhöht die Trefferquote deutlich und reduziert Komplikationen.
Thomas Gaisl ist interventioneller Pneumologe und Privatdozent am Universitätsspital Zürich. Er studierte Medizin in Innsbruck und erwarb weiterführende Abschlüsse in Epidemiologie an der Harvard University (Master) sowie an der University of Warwick (Doktorat). 2023 habilitierte er sich an der Universität Zürich.
Er leitet eine Forschungsgruppe zu roboterassistierter Bronchoskopie und minimal-invasiven Lungeninterventionen, hat Drittmittel in Millionenhöhe eingeworben und fungiert als europaweiter Proctor für roboterassistierte Bronchoskopie.
Welche Rolle spielt hierbei künstliche Intelligenz?
Die KI übernimmt Basisaufgaben wie die automatische Erkennung der Atemwege oder der Katheterspitze. Die Zielführung und die Biopsie erfolgen aber weiterhin manuell. Das ist auch richtig so: Steuerung und Risikoabschätzung bleiben in ärztlicher Verantwortung.
Wie reagieren Kolleginnen und Kollegen auf diese Technik?
Das Interesse ist enorm. Wir sind mittlerweile Ausbildungszentrum, wöchentlich haben wir Teams aus ganz Europa zu Besuch. Viele Chefärztinnen und Chefärzte kommen eigens nach Zürich, um sich das Verfahren anzuschauen.
Welche Patientengruppen profitieren am meisten?
Vor allem jene mit kleinen, peripher gelegenen Lungenherden und grosser Unsicherheit hinsichtlich der Diagnose. Früher mussten wir solche Knoten, von denen viele gutartig waren, entweder herausoperieren oder über Monate bis Jahre beobachten. Heute können wir praktisch jede Läsion minimal-invasiv sofort abklären und nur Patientinnen und Patienten mit bewiesenem Lungenkrebs einer Operation unterziehen.
«Der eigentliche Gamechanger ist die Kombination von 3D-Bildgebung und Robotik. Das ermöglicht eine permanente räumliche Orientierung.»
Welche Auswirkungen hat das auf die Prognose?
Der Nutzen ist enorm. Wir diagnostizieren in unserem Zentrum heute die meisten Lungentumore im heilbaren Stadium 1 statt wie früher erst im Stadium 4. Wir gehen davon aus, dass hiermit auch die 5-Jahres-Überlebensrate deutlich steigen wird. Jeder Zentimeter Tumorwachstum reduziert die 5-Jahres-Prognose um rund 10 Prozent.
Wie verändert das die Kommunikation mit Patientinnen und Patienten?
Ich kann heute mit hoher Sicherheit sagen: «Wir haben die Läsion getroffen.» Früher bestand immer das Risiko, dass wir daneben gelegen haben. Das erleichtert die Gesprächsführung enorm. Die Patienten schätzen zudem, dass kleinere Eingriffe reichen und sie schneller Gewissheit haben.
Gibt es Daten, die die Überlegenheit des neuen Verfahrens belegen?
Wo liegen die Grenzen?
Die Technik ist komplex und nur in Zentren mit hohen Fallzahlen sinnvoll. Wir haben rund 200 Eingriffe gebraucht, bis wir eine stabile Routine erreicht hatten. Heute führen wir etwa zwölf Eingriffe pro Woche durch – und zwar stets mit einem eingespielten Team.
«Nicht alles, was man biopsieren kann, sollte man auch biopsieren. Deshalb ist die Indikationsstellung und das Gespräch mit den Patienten so wichtig.»
Welche Risiken sehen Sie?
Die Eingriffe sind minimalinvasiv, die Nebenwirkungsrate ist sehr niedrig. Die grössere Gefahr dieser Technologie ist eher die Überdiagnose. Nicht alles, was man biopsieren kann, sollte man auch biopsieren. Deshalb sind die Indikationsstellung und das Gespräch mit den Patienten so wichtig.
Wie sieht es mit den Kosten aus?
Einen erheblichen Teil der Investitionskosten konnten wir durch Forschungsgelder decken. Im klinischen Alltag bleibt das Verfahren jedoch sehr kostenintensiv und die derzeitige Pauschalvergütung bildet die erreichte diagnostische Qualität nur unzureichend ab. Umso mehr sind wir stolz darauf, dass zahlreiche Patient:innen gezielt aus auswärtigen Spitälern zu uns überwiesen werden, nachdem dortige Biopsieversuche zuvor erfolglos geblieben waren.
Wird die Technologie bald flächendeckend verfügbar sein?
In den USA breitet sie sich rasant aus, dort gibt es praktisch einen Bronchoskopie-Roboter pro 400’000 Einwohner. In Europa ist die Entwicklung langsamer, nicht zuletzt wegen der Finanzierung. In der Schweiz folgte uns das Universitätsspital Basel ein Jahr später und kürzlich hat das Kantonsspital St. Gallen ein System in Betrieb genommen. Langfristig wird diese Technik in ausgewählten Zentren mit hohem Volumen jedoch Standard werden.
Welche Entwicklungen wünschen Sie sich für die nächsten Jahre?
Die Diagnostik haben wir im Griff. Der nächste Schritt ist die Therapie: Wir möchten Tumoren im Frühstadium über denselben Katheter in einem einzigen Eingriff diagnostizieren und lokal behandeln – sei es mit Wärme, Kälte oder Radiofrequenz. Langfristig könnte die Plattform auch für andere Lungenerkrankungen wie Fibrosen oder Emphyseme genutzt werden.