«Ein Prozess gegenseitiger Fragen»

Zweitmeinung mit System: Jacques Bernier und Oscar Matzinger schildern, wie Swiss Medical Network und die Mayo Clinic ihr Kooperationsmodell entwickelten.

, 16. Mai 2025 um 22:00
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Oscar Matzinger (links), medizinischer Direktor für Radio-Onkologie; Jacques Bernier, Chief Science Officer bei Swiss Medical Network.
Die Privatklinik-Gruppe Swiss Medical Network ist die erste Institution in Europa, die sich dem Mayo Clinic Care Network anschliesst – also dem internationalen Netzwerk, das 2011 von der US-Krankenhausgruppe ins Leben gerufen wurde.
Was sind die Vorteile dieses Beitritts? Wie sind die Modalitäten dieser transatlantischen Zusammenarbeit? Jacques Bernier ist Chief Science Officer bei Swiss Medical Network; Oscar Matzinger ist medizinischer Direktor für Radioonkologie. Im Video-Interview erläutern sie die Entstehung und die Herausforderungen der Partnerschaft.

Ein Gewinn an Fachwissen bei komplexen Fällen

Das Ziel der beiden Spezialisten ist klar: Die Fachkompetenz von Swiss Medical Network soll sowohl in diagnostischer als auch in therapeutischer Hinsicht ausgebaut werden, insbesondere bei komplexen Fällen und seltenen Krankheiten.
Oscar Matzinger betont insbesondere den Vorteil, auf eine einzigartige Erfahrung zugreifen zu können: «Die Mayo Clinic ist eines der grössten Spitäler der Welt. In unserem Fachgebiet, der Onkologie, behandeln sie über 130'000 Patienten pro Jahr. Sie verfügen über mehr als 400 hochspezialisierte Ärzte aller Fachrichtungen.» Solch ein Patientenvolumen verschafft ein seltenes Fachwissen, das gerade in komplexen Situationen wertvoll ist.
Onkologe Matzinger betont zugleich, dass diese Kooperation die Entscheidungsfreiheit von Swiss Medical Network nicht einschränken dürfe: «Es geht nicht darum, dass wir im Notfall die Mayo Clinic kontaktieren müssen – unsere Ärzte haben die nötige Erfahrung bereits.»
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Jacques Bernier beim Launch der Kooperation mit Mayo, Genolier, 6. Mai 2025  |  Bild: Nuno Acacio
Die Zusammenarbeit wurde strukturiert gestaltet, um im Bedarfsfall einen schnellen Austausch zu ermöglichen. Jacques Bernier nennt den Service «AskMayoExpert»: «Es ist kein direkter Kontakt, sondern integrierte Algorithmen ermöglichen jungen Ärzten am Point of Care – also am Patientenbett oder in der Sprechstunde – eine schnelle diagnostische und therapeutische Orientierung in manchmal komplexen Situationen.»

«Zweit- oder Drittgutachten»

Was die Art und Weise betrifft, wie sich die Partnerschaft entwickelt hat, sprechen die beiden Professoren von einer «Ko-Konstruktion»: «In diesen zweieinhalb oder drei Jahren des Kontakts mit der Mayo Clinic haben wir dieses Modell gemeinsam aufgebaut. Mayo kam mit bestehenden Grundlagen, aber wir konnten sie diskutieren und Verbesserungen vorschlagen», so Bernier; er spricht von einem Prozess, der geprägt war von «gegenseitigen Fragen» über die besten Möglichkeiten, klinische Fortschritte zu machen.
Oscar Matzinger wiederum erklärt, dass die bei der Mayo Clinic eingeholten Gutachten meist «Zweit- oder Drittliniengutachten» sein werden – in Fällen, die ein äusserst hohes Mass an Fachwissen erfordern.

Wie ist die Akzeptanz in der Ärzteschaft?

«Die Nachfrage nach einer weiteren Meinung wird immer häufiger, vor allem in komplexen Fällen», sagt Jacques Bernier, der vor allem die Erwartungen der Patienten hervorhebt: «Das Versenden von Daten und Bildern ist nicht immer einfach. Hier wird alles extrem sicher und einheitlich sein. Für die Ärzte bedeutet das einen Zeitgewinn.»
Oscar Matzinger fügt hinzu: «Bisher hat jeder von uns je nach seinem Hintergrund mit verschiedenen Spitälern oder Universitäten zusammengearbeitet. Nun eine direkte Verbindung zu einem der grössten Krankenhäuser der Welt zu haben – dies wird in der gesamten Gruppe sehr geschätzt.»

Mehr:

  • Swiss Medical Network geht Allianz mit Mayo Clinic ein. Als erste Institution in Europa tritt die Schweizer Klinikgruppe dem Mayo Clinic Care Network bei – und eröffnet sich so Zugänge zum Knowhow des US-Konzerns.
  • «Wir leben ‚Patients first‘. Täglich.» Im Video-Gespräch erklärt Medical Director Brian A. Costello, warum Swiss Medical Network zur Mayo Clinic passt – und was noch alles folgen kann.
  • «Unsere Prozesse wurden sehr scharf analysiert». Fabrice Zumbrunnen, der Delegierte des Verwaltungsrates, erklärt, wie aus einer Idee ein Prozess wurde – und welche strategischer Bedeutung die Allianz jetzt hat.
  • Die neue Allianz mit der Mayo Clinic ist für Swiss Medical Network eine Inspiration – aber kein Grund zur Selbstaufgabe. Stanley Hautdidier, der Direktor der Clinique de Genolier, über eigene Identität und geteilte Expertise.

Swiss Medical Network

Die private Klinik- und Gesundheitsversorgungsgruppe Swiss Medical Network betreibt 21 Kliniken in 15 Schweizer Kantonen und verfügt über rund 1'500 Spitalbetten. Sie beschäftigt rund 4'100 Personen und zählt 2'300 Ärzte zu ihrem Netzwerk. Rund 60 medizinische Zentren sowie über 20 Augenkliniken, die unter dem Namen Swiss Visio zusammengefasst sind, gehören ebenfalls zum Swiss Medical Network.
Die Gruppe ist zu 80% im Besitz von Aevis Victoria, einem börsennotierten Freiburger Unternehmen, das auch Luxushotels wie das Victoria-Jungfrau in Interlaken und das Bellevue Palace in Bern betreibt.

Die Mayo Clinic in 10 Punkten

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La Mayo Clinic à Rochester | Image: Wikimedia Commons
1. Nummer eins. Die Mayo Clinic belegt in Berichten über die besten Krankenhäuser der Welt oder der USA stets den ersten Platz. Auch in diesem Jahr belegt sie in der "Newsweek"-Rangliste "World's Best Hospitals 2025" den ersten Platz. Die Mayo Clinic belegte außerdem den ersten Platz in den Unterkategorien Herzchirurgie, Kardiologie, Endokrinologie, Gastroenterologie, Neurologie, Neurochirurgie und Pneumologie sowie den zweiten Platz in den Unterkategorien Orthopädie und Urologie.
2. 75.000 Menschen. Die Mayo Clinic wurde in Rochester, Minnesota, gegründet und hat ihre Wurzeln in den 1860er Jahren. Die wichtigsten Krankenhäuser der Gruppe befinden sich mittlerweile in Rochester, Scottsdale (Arizona) und Jacksonville (Florida). Der Konzern beschäftigt derzeit rund 75.000 Mitarbeiter und erwirtschaftet einen Umsatz von fast 20 Milliarden US-Dollar. In Rochester betreibt die Mayo-Gruppe zudem eine eigene medizinische Universität.
3. Sie ist nicht gewinnorientiert. Die Mayo Clinic schüttet keine Dividenden aus, sondern reinvestiert ihre gesamten Einnahmen in Forschung, Infrastruktur und Patientenversorgung. Im Jahr 2024 gab die Mayo Clinic insgesamt 1,2 Milliarden US-Dollar für die Forschung aus: etwa 500 Millionen US-Dollar aus eigenen Einnahmen, etwa 700 Millionen US-Dollar aus Drittmitteln, die in die Mayo-Forschungszentren investiert wurden.
4. Bedeutende medizinische Durchbrüche. Die Einrichtung war unter anderem für mehrere Durchbrüche verantwortlich, wie den Kryoschnitt zur Analyse von Tumoren und die erste Operation mit Herz-Lungen-Maschine. Im Jahr 1969 führte die Mayo Clinic die erste Hüftgelenkersatzoperation in den USA durch. Im Jahr 2001 entwickelte sie in Zusammenarbeit mit Roche einen Schnelltest zum Nachweis von Milzbrand.
5. Nobelpreis. 1950 erhielten die Ärzte der Mayo Clinic Edward Calvin Kendall und Philip S. Hench den Nobelpreis für Medizin für ihre Entdeckungen über Kortison (gemeinsam mit dem Schweizer Chemiker Tadeus Reichstein, der auf demselben Gebiet forschte).
6. Qualität statt Quantität. Die Ärzte der Mayo Clinic werden ausschließlich auf pauschaler Basis vergütet.
7. Integrierte Versorgung. Die Mayo Clinic setzte schon früh auf integrierte Versorgung und bemühte sich, Spezialisten aus verschiedenen Disziplinen zusammenzubringen.
8. Auf den Patienten ausgerichtet. Die Mayo Clinic pflegt einen patientenzentrierten Ansatz, der sich in ihrem Motto widerspiegelt: "The needs of the patient come first" - eine ganzheitliche Betreuung, die auch die psychische und soziale Situation der Patienten berücksichtigen muss.
9. Lokale Anbieter von Primärversorgung. 1992 startete der Konzern das Mayo Clinic Health System, ein Netzwerk für die medizinische Grundversorgung, das heute über 100 Standorte in den ländlichen Gebieten des Mittleren Westens der USA verfügt.
10. Internationale Ausstrahlung. Die Mayo Clinic zeichnet sich auch durch ihre hochmoderne Krankenhausversorgung aus, ein Pluspunkt, der ein internationales Publikum nach Rochester zieht. Die Klinik bietet unter anderem kostenlose Dolmetscherdienste für ausländische Patienten an.

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