«Von einer grossen Abwanderung ist wenig zu sehen»

Zwei Monate in einem US-Spitzenlabor: Der Schweizer Medizinstudent und Journalist Simon Maurer hospitiert an der U-Penn. Im Interview erzählt er von politischen Eingriffen in die Wissenschaft – und Einsamkeit im Alltag.

, 21. Juni 2025 um 06:51
letzte Aktualisierung: 2. Dezember 2025 um 13:51
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Die University of Pennsylvania in Philadelphia ist eine der renommiertesten Universitäten der Welt. Bild: Adobe Stock.
Simon Maurer, seit April sind Sie für einen Forschungsaufenthalt an der University of Pennsylvania (U-Penn). Warum diese Universität?
Ich bin in einem Grundlagenlabor, das sich mit mRNA-Technologie beschäftigt. Dort werden Experimente mit Mäusen durchgeführt, um besser zu verstehen, wie mRNA-Impfstoffe im Immunsystem wirken. Mechanistisch ist noch längst nicht alles geklärt - genau das macht es so spannend.
Was fasziniert Sie an der mRNA-Technologie?
Sie ist unglaublich elegant. Anders als bei der Gentherapie mit CRISPR, wo direkt ins Genom eingegriffen wird, liefert mRNA lediglich den Bauplan für ein Protein – temporär und ohne genetische Veränderungen. Sie ist damit vielseitig einsetzbar und birgt enormes Potenzial für die Therapie vieler Krankheiten.

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Simon Maurer ist Medizinstudent und Journalist. Diesen Sommer arbeitet der Zürcher bei «CH Media», danach als Unterassistenzarzt in der Chirurgie Sursee und Ende Jahr als Praktikant beim «Spiegel».
Wie kam es, dass Sie gerade jetzt in die USA gehen – während viele über eine Abwanderung aus dem Land sprechen?
Ich wollte verstehen, wie Forschung hier wirklich funktioniert – jenseits der Schlagzeilen. Tatsächlich ist die wissenschaftliche Infrastruktur trotz aller Kritik an der Politik nach wie vor führend. Und die Realität ist: Von einer grossen Abwanderung ist bislang wenig zu sehen. Viele sprechen darüber, aber nur wenige ziehen wirklich Konsequenzen.
Hatten Sie Probleme bei der Einreise?
Die Grenzbeamten haben mich etwas länger ausgefragt - denn für Medizinstudierende im letzten Jahr gibt es eine sehr spezifische Ausnahme im Gesetz, welche die Einreise auch ohne das kompliziertere J-Visum möglich macht. Man darf allerdings keinen Lohn von einem amerikanischen Arbeitgeber erhalten, und muss dazu ein paar zusätzliche Regeln beachten. Nachdem ich den Grenzbeamten meine Reisegründe erklärt hatte, ihnen meinen Einladungsbrief und die Semestereinschreibung einer Schweizer Uni gezeigt hatte, liessen sie mich passieren.
Reise in die USA endet in Abschiebehaft
Kürzlich berichtete die «NZZ» über eine Schweizer Studentin, die bei der Einreise in die USA mit gültiger Einreisegenehmigung festgenommen wurde. Wegen Verdachts auf illegale Arbeit wurde die angehende Lehrerin inhaftiert, durchsucht und am nächsten Tag deportiert. Der Fall steht exemplarisch für eine härtere Einreisepolitik unter Trump und wirft Fragen zur Rechtswillkür an US-Grenzen auf.
Sie beschreiben die Forschung in den USA als «führend». Was ist anders als in der Schweiz?
Die Mentalität. In der Schweiz fragt man bei neuen Ideen oft: «Warum?» In den USA eher: «Warum nicht?» Diese Offenheit ist beeindruckend. Auch die Kombination von klinischer und wissenschaftlicher Tätigkeit, etwa bei MD-PhDs, ist viel verbreiteter. Das setzt Ressourcen frei, die man in der Schweiz selten sieht. Dazu kommt natürlich eine unglaubliche Menge an Geld, die in Europa weniger vorhanden ist.
Was bekommen Sie von der US-Politik mit – speziell von Trumps Agenda gegenüber der Wissenschaft?
Die Executive Order von Trump zur angeblichen «Transparenz» in der Forschung wird hier durchaus diskutiert. Tatsächlich geht es eher um Kontrolle und Einschränkungen. Viele der ausländischen Forscher ohne amerikanischen Pass überlegen sich jetzt ganz genau, ob sie es riskieren, im Sommer ihre Familien zu besuchen – mit dem Risiko, dass sie dann trotz gültigem Visum nicht mehr ins Land gelassen werden. Besonders dramatisch sind auch die Kürzungen von NIH-Fördermitteln. Einige Forschende mussten ihre Projekte abrupt stoppen – oder arbeiten nun ohne Lohn weiter.
«Trotzdem spürt man, dass politische Entscheidungen zunehmend in die Wissenschaft eingreifen.»
Warum ist das so?
Wenn eine Impfstudie gerade läuft, kann man nicht einfach abbrechen. Die Experimente mit mRNA laufen normalerweise allermindestens für 3 Monate, solange direkte Veränderungen manchmal nachweisbar sind. Also arbeiten viele weiter, aus Pflichtgefühl – ohne zu wissen, ob sie ihre Materialien nachbestellen können. Besonders ernüchternd ist das für junge Forschende mit unsicherem Funding, die fürs Weiterkommen diese Studien brauchen.
Wie erleben Sie die Debatten rund um mRNA-Impfstoffe?
Die Technologie wird politisch aufgeladen – vor allem durch den Gesundheitsminister Bobby Kennedy, der sie verteufelt. Dabei ist klar: Wenn die USA jetzt aus ideologischen Gründen aussteigen, würden China und Europa einspringen und damit Milliarden verdienen. Realpolitisch ist das fast undenkbar. Trotzdem spürt man, dass politische Entscheidungen zunehmend in die Wissenschaft eingreifen.
Und wie steht es um Gleichstellung und Genderfragen an der U-Penn?
Im Labor erlebe ich ein diverses und ausgewogenes Team. Genderdiskriminierung ist mir nicht begegnet, aber ich bin ein weisser Mann. Forschungsprojekte zu Transgender-Medizin sind allerdings stärker von Finanzierungseinbussen betroffen – das spüren einige. Die Universität als Ganzes bleibt ein progressives Umfeld, anders als der gesellschaftliche Diskurs, der sich in den USA insgesamt stark polarisiert hat.
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Wohnen ausserhalb des Campus in historischen Gebäuden. Bild: Simon Maurer.
Wie hoch ist der Workload an der U-Penn?
Extrem hoch. Viele arbeiten bis tief in die Nacht und stehen am nächsten Morgen wieder um sechs auf. Auch in der Schweiz arbeiten junge Ärztinnen und Ärzte oft weit über 50 Stunden – bei vergleichsweise niedrigem Lohn. Ich finde, das ist nicht mehr zeitgemäss. Übermüdete Assistenzärzte gefährden letztlich auch die Patientensicherheit.
Wird die Schweiz da international abgehängt?
Nein, ich glaube nicht. Im Gegenteil: In Deutschland arbeiten viele Ärztinnen und Ärzte inzwischen weniger als in der Schweiz. Und viele scheuen den Wechsel in die Schweiz wegen der hohen Belastung. Die USA sind mit ihrer Ivy League-Kultur natürlich ein Extremfall – das lässt sich schwer vergleichen.
Wie sicher fühlen Sie sich in Philadelphia?
Ehrlich gesagt: nicht besonders. Abends nach 22 Uhr gehe ich nicht mehr allein auf die Strasse. Die Sicherheitslage ist angespannt, es gab Polizeieinsätze und Schüsse in der Nähe meiner Unterkunft. Das verändert die gesamte Alltagserfahrung – gerade im Vergleich zur Schweiz, wo ich mich viel freier bewege.
Was bedeutet das für Ihren Alltag?
Es isoliert. Ich habe gemerkt, wie sehr ich soziale Kontakte brauche, um mich wohlzufühlen. Allein zu leben, ohne sich abends spontan mit Leuten zu treffen – das belastet. Für die Zukunft weiss ich: Ich brauche ein Umfeld mit mehr Nähe und Austausch.
Wie begegnet man Ihnen als Schweizer?
Anders als früher, definitiv. Als ich 2016 für ein Highschool-Semester in den USA war, wurde ich mit grosser Offenheit empfangen – fast schon mit Begeisterung. Heute habe ich das Gefühl, dass die Stimmung gekippt ist. Die Reaktionen auf mich waren nicht feindlich, aber deutlich kühler. Ich glaube, das liegt auch an der zunehmenden Polarisierung – Europa wird in gewissen Kreisen nicht mehr so positiv wahrgenommen wie früher.
Was nehmen Sie persönlich aus dieser Zeit mit?
Die Begeisterung für Forschung. Ich könnte mir gut vorstellen, weiterhin wissenschaftlich zu arbeiten. Aber auch das Wissen, dass ein gutes Leben mehr braucht als nur Labore und Leistungsdruck. Ich will künftig mehr auf Balance achten.
  • Schweiz verliert Zugang zu NIH-Millionen: Die National Institutes of Health der USA legen ihre internationale Förderung weitgehend auf Eis. Dies trifft Dutzende Organisationen auch hier.

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