Wie wird sich der Bedarf an Langzeitpflege in der Schweiz angesichts der Bevölkerungsalterung entwickeln? Das Schweizerische Gesundheitsobservatorium Obsan hat eine
aktualisierte Studie zu dieser Frage veröffentlicht: Sie wagt einen Ausblick bis zum Jahr 2050.
Die Ergebnisse sind eindeutig: Die Alterung der Bevölkerung und das veränderte Pflegeverhalten werden das gesamte System verstärkt unter Druck setzen.
«Die Analyse bestätigt, dass der Bedarf in den kommenden fünfzehn Jahren stark und rasch ansteigen wird», melden die Bundes-Gesundheitsbeobachter. Und weiter: «Sollte die Versorgungspolitik unverändert bleiben, könnten die Pflegeheime bereits vor 2030 mit Kapazitätsproblemen konfrontiert werden.»
Weniger Eintritte – mehr schwere Fälle
Die Inanspruchnahme von Alters- und Pflegeheimen ist seit der Pandemie zurückgegangen – und dieser Rückgang hält an. Andererseits weisen die aufgenommenen Personen einen höheren Pflegebedarf auf, was die Belastung für die Teams erhöht. Das Bettenangebot stagniert hingegen tendenziell, was zu einem relativen Rückgang der verfügbaren Plätze führt – gemessen pro Einwohner ab 80 Jahren.
Laut den Obsan-Analysen wird der Bedarf an Langzeitpflege-Betten bis 2040 um 50 Prozent steigen. Konkret würde dies 36'900 zusätzliche Betten bedeuten – beziehungsweise 626 neue Pflegeheime, die in 15 Jahren gebaut werden müssten, wenn die Pflegepolitik unverändert bleibt.
Diese Prognose wurde im Vergleich zur Prognose von 2019 leicht nach unten korrigiert (295 Pflegeheime weniger), doch das Wachstumstempo bleibt hoch.
Hinwendung zur häuslichen Pflege
Andererseits wird stetig mehr häusliche Pflege beansprucht. In diesem Bereich stechen die Westschweiz und das Tessin hervor, die das Potenzial für die Verlagerung der weniger schweren Fälle in den ambulanten Sektor bereits weitgehender ausgeschöpft haben. Die Deutschschweizer Kantone gehen allmählich den gleichen Weg.
In Genf und in der Waadt wird dieser Trend durch die Pflegepolitik noch verstärkt: Spezialisierte mobile Teams betreuen komplexe Patienten, damit sie zu Hause oder in einer geeigneten Wohnung bleiben können.
Clusteranalyse: vier Gruppen von Kantonen — Grafik: aus der zitierten Studie.
So zeigt der Bericht grosse Unterschiede zwischen den Kantonen auf. In Regionen, die historisch auf den stationären Sektor ausgerichtet sind, dürfte die Nachfrage nach häuslicher Pflege viel stärker wachsen als in Kantonen, die bereits auf den ambulanten Sektor ausgerichtet sind. «In diesen Regionen könnte der Bedarf an Spitex um den Faktor 1,7 steigen, gegenüber 1,5 in Regionen, die weniger stark von Pflegeheimen abhängig sind», erklärt das Obsan.
Dieser Übergang bringt erhebliche Herausforderungen mit sich, zum Beispiel bei der Suche nach qualifiziertem Personal für die häusliche Pflege. Denn zugleich verschärft sich der Mangel an Pflegefachleuten. Darüber hinaus ist die häusliche Pflege oftmals auf die Anwesenheit pflegender Angehöriger angewiesen, die selbst manchmal unter Druck stehen.
Grundsatzfragen für die Politik
«Unabhängig von den politischen Szenarien wird der Pflegebedarf in allen Regionen und Strukturen steigen», so ein Fazit des Berichts. Die Behörden müssten also Investitionen in die Infrastruktur, die Anpassung der kantonalen Politik sowie die Ausbildung und Rekrutierung von Pflegepersonal antizipieren.
Zusammengefasst sind dies:
- ein um 50 Prozent höherer Bedarf an Betten für Langzeitpflege bis 2040;
- 626 zusätzliche Pflegeheime sind erforderlich, wenn die derzeitige Politik unverändert bleibt;
- ein stetiger Anstieg der Inanspruchnahme von häuslicher Pflege;
- ein anhaltender Personalmangel und eine wichtigere Rolle pflegender Angehöriger. Alleine für die Spitex erwartet der Bericht einen Bedarf von 7'400 zusätzlichen Vollzeit-Stellen bis 2040.
Da die Bevölkerung immer älter wird, steht die Schweiz vor einer strategischen Entscheidung: Soll sie massiv in neue Infrastrukturen investieren? Oder soll sie die Pflege stärker auf die ambulante Versorgung und die Unterstützung zu Hause ausrichten? In beiden Fällen wird die Frage der menschlichen Ressourcen weiterhin eine zentrale Rolle spielen.