Ja, denn für uns ist es unser tagtägliches Programm, solche Meinungen, Empfehlungen und solchen Aberglauben zu adressieren und zu entkräften.
Was ist das Problem?
Im Gegensatz zur akzeptierten Komplementärmedizin suggeriert der Name Alternativmedizin und deren Vertreterinnen und Vertreter, es handle sich dabei um eine vielleicht sogar gleichwertige Alternative. Sie suggerieren auch, dass es sich um Medizin handelt. Oft sind es jedoch mehr rituelle und spirituelle Handlungen als Behandlungen. Hier sind Ärzte gefordert, für Wirksamkeit und Wissenschaftlichkeit einzustehen.
Was sind die Folgen solcher Therapien für Brustkrebspatientinnen, wie Sie sie als Onkologe vor allem behandeln?
Die Patientinnen können Schaden nehmen. So etwas sehen wir leider zu oft. Auch entstehen für die Patientinnen häufig sehr hohe, privat getragene Kosten – ebenso gesellschaftliche Folgekosten.
Können Sie ein paar Beispiele von Patientinnen geben, die zu Schaden kamen?
Eine Frau mit Brustkrebs hatte sich durch ihren Ehemann beeinflussen lassen, einem amerikanischen Therapeuten zu folgen. Dieser vertritt die Theorie, dass man den Tumor «umprogrammieren» könne. Folge: Der Tumor nahm leider innerhalb von wenigen Monaten stark an Grösse zu und wurde zunehmend aggressiver.
Zur Person
Michael Knauer ist habilitierter Chirurg mit Schwerpunkt Chirurgische Onkologie und Brustchirurgie. Er ist seit 2019 Mitinhaber des Brustzentrums Ostschweiz AG. Daneben ist er auch Belegarzt der zur Hirslanden Gruppe gehörenden Klinik Stephanshorn in St. Gallen.
Geht es immer glimpflich aus?
Leider nicht immer. Eine 26-jährige Patientin mit einem aggressiven Sarkom beispielsweise konnte sich nicht zur empfohlenen Operation und Chemotherapie durchringen, sondern hat einer Naturheilpraktikerin am andern Ufer des Bodensees vertraut. Ich habe versucht, mit der Praktikerin Kontakt aufnehmen. Doch diese blockte ab. Das passiert in solchen Fällen leider fast immer. Eineinhalb Jahre später ist die junge Frau verstorben. Mit einer Operation, zugegebenermassen einer radikalen, wäre es gut gekommen.
Wie erklären Sie sich, dass dennoch so viele Patientinnen solche alternativen Behandlungen machen?
Ein Vorteil dieser alternativen Methoden ist, dass die Behandelnden Zeit haben und empathisch sind. Wir probieren das auch zu machen und zu sein. Aber in der sogenannten Schulmedizin sorgen Kosten- und Zeitdruck durch den Tarmed dafür, dass sich kaum jemand eine halbe Stunde Zeit für ein ausreichendes, umfassendes Gespräch nehmen kann. Das ist ein grosser Mangel. Denn eine solche Betreuung ist ein Bedürfnis der Patientinnen.
Und deshalb suchen diese dann nach Alternativen.
Ja. Und deshalb sehen wir leider immer wieder Frauen, die sich in die – überzeugenden – Hände von Therapeuten begeben, die sich zwar empathisch um Krebskranke kümmern, aber leider oft die Grenzen dieser Möglichkeiten nicht sehen oder sehen wollen.
Was machen Sie dann?
Ich versuche bei jenen zum Glück wenigen Frauen mit Brustkrebs, die den alleinigen Weg der Alternativmedizin wählen – sei es durch persönliche Überzeugung oder durch Beeinflussung durch Angehörige oder andere – den Verlauf trotzdem zu beobachten. Ich vereinbare dann Kontrolltermine und versuche, von Anfang an Limiten zu setzen, ab denen wir einen Misserfolg der Alternativmedizin konstatieren müssen. Das hilft manchen Frauen, davon abzulassen, wenn sich der Weg als Irrweg herausstellt und der Tumor ungehindert wächst oder leider auch metastasiert – was leider immer der Fall ist. Die Verantwortung dafür wird von den alternativ Behandelnden dann leider nie übernommen.
Die Bündner Ärztin empfiehlt auch gegen Covid-19 ähnlich abenteuerliche Methoden.
Ganz grundsätzlich ist das widersinnig und gegen jede wissenschaftliche Erkenntnis. Dass es Menschen gibt, die Fakten nicht zugänglich sind, ist bekannt. Etwa Donald Trump. Doch wenn Ärzte so handeln, ist das hochproblematisch.
Der Kanton Graubünden sagte gegenüber von «Medinside», die Ärztin sei durch die Meinungsfreiheit gedeckt.
Kantonsärzte als auch FMH müssen konsequenter gegen solche Handlungen und Aussagen vorgehen, insbesondere, wenn Patienten gefährdet werden. Solches Handeln von Ärzten ist verantwortungslos – aber eben auch ein Geschäftsmodell. Klar, das wirft man uns «Schulmedizinern» auch vor. Wir sind aber an Zulassungen und Richtlinien gebunden und unsere Behandlungen basieren auf Studien, so gut es geht. Bei Brustkrebspatientinnen sind wir übrigens in den letzten Jahren immer zurückhaltender mit Chemotherapie und Operationen geworden. Weil das dank neuen Methoden und Erkenntnisse ohne Einbussen bei der Behandlungsqualität geht. Dass wir immer mehr und invasiver behandelten, wie manche meinen, stimmt schlicht nicht.