Die Methode ist zwar gängig in der Industrie – aber im Spital? Ja, offenbar auch dort. An der Harvard Medical School respektive am Massachusetts General Hospital – bekanntlich ein Topspital der USA – wurde jetzt getestet, was geschieht, wenn die Ärzte durch ihre Assistenten, durch die Pflegenden oder durch andere Mitarbeiter der Klinik beurteilt werden.
Insgesamt 385 Chirurgen und praktizierende Ärzte wurden einer Prüfung unterzogen, bei der knapp 3'000 Pflegende, andere Ärzte, Angestellte und auch Vorgesetzte um Beurteilungen gebeten wurden.
Ein Test von Ärzten über Ärzte
Die Kolleginnen und Kollegen mussten mit einem Fragebogen die technischen Fähigkeiten sowie die Kommunikation, die Teamfähigkeit sowie die Einhaltung von allgemeinen Zielen und Vorgaben des Spitals einschätzen.
Die Methode, auch
bekannt als 360-Grad-Feedback wird in privatwirtschaftlichen Konzernen seit den 1990er Jahren zunehmend häufig angewandt. Dort hat sie den Vorteil, dass sie den Führungskräften Stärken und Schwächen aus einem breiten Spektrum an Standpunkten und Perspektiven aufzeigt.
Das Team um den Onkologen und Harvard-Assistenzprofessor
Alex B. Hayes liess nun einen Beurteilungs-Fragebogen erarbeiten – und zwar von den Chirurgen selbst. Es waren also die Ärzte, die festlegten, welche Aspekte wichtig und mit der 360-Grad-Methode zu überprüfen sind. Dann wurde jeder Chirurg in diesen Aspekten von jeweils 20 bis 30 Mit-Arbeitern beurteilt.
Alex B. Hayes, Suliat Nurudeen, William R. Berry et. al., «Can 360 Degree Reviews Help Surgeons? Evaluation of Multisource Feedback for Surgeons in a Multi-Institutional Quality Improvement Project», in: «Journal of the American College of Surgeons», Juli 2015
Die beobachteten Mediziner erhielten durchaus gute Noten (im Schnitt gut 8 von 10 Punkten). Feststellen liess sich aber vor allem, dass sich eine Mehrheit der beobachteten Ärzte danach anpassten, um ihre Beurteilungen zu verbessern.
Die Chirurgen sind durchaus selbstkritisch
So äusserten gut 60 Prozent der Harvard-Mediziner bei einer Befragung im Nachhinein, dass sie in der Folge ihre Verhaltens- und Arbeitsweisen angepasst hätten.
Und auf der anderen Seite meldeten ebenfalls 60 Prozent der Vorgesetzten, dass sich die Kommunikation und die Professionalität der Chirurgen verbessert habe.
Es könnte also durchaus sein, dass die Feedback-Methode bloss auf den ersten Blick beunruhigend wirkt – dass sich aber am Ende selbst die Beurteilten damit anfreunden. «Viele Berufsleute erhalten nicht soviel Feedback auf ihre Leistungen, wie sie eigentlich möchten»,
sagt William R. Berry, ebenfalls Arzt und einer der Autoren des Tests. «Diese Studie zeigt, dass die Leute elektrifiziert sind durch die Möglichkeit, einen Spiegel auf sich selbst gerichtet zu bekommen.»
- Siehe auch: «Want better surgeons? Poll their coworkers. 360-degree feedback prompted docs to improve, study finds», in: «Fierce Healthcare»