«Wenn wir die Schulen schliessen, verhindern wir, dass die Kinder schnell immun werden»

Alle teilweise überstürzt getroffenen Entscheidungen in den letzten Wochen sollten nun reflektiert werden. Dies sagt der bekannte Infektiologe Pietro Vernazza.

, 21. März 2020 um 19:50
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Viele der in den letzten Tagen getroffenen Massnahmen im Kampf gegen das Coronavirus sind vielleicht sogar kontraproduktiv. Dies sagt Pietro Vernazza vom Kantonsspital St. Gallen (KSSG) in einem Interview mit der Zeitung «Schweiz am Wochenende».
Geschlossene Schulen etwa verhindern, dass die Kinder schnell immun werden, erklärt der bekannte Infektiologe. Wenn aber viele immun werden, wird sich die Krankheit viel langsamer ausbreiten. Und angesteckte Kinder sind laut Vernazza nicht schwer krank und sterben nie an der Krankheit.

Wissenschaftliche Fakten besser einbinden

Er konnte den Entscheid, die Schulen zu schliessen, als Sofortmassnahme zwar gut nachvollziehen. Doch nun sagt der Chefarzt, dass man diesen Entscheid überprüfen sollte. Denn die Entscheidung sei nicht auf wissenschaftlicher Basis erfolgt, sondern weil die anderen Länder diese auch durchgeführt haben. Dies habe seine Nachfrage beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) gezeigt. 
«Es ist mindestens denkbar, dass wir viel besser dran wären, wenn die jungen Menschen sehr schnell immun werden.» Davon würden auch gefährdete Personen schneller profitieren, sagt Pietro Vernazza gegenüber der Zeitung. Er bleibt aber vorsichtig: «Nicht dass ich schon weiss, was der richtige Weg ist, aber mindestens sollten wir die wissenschaftlichen Fakten besser in die politischen Entscheidungen einbinden.» 

Zugang zu Erholung und Arbeit wieder zulassen

Deshalb wäre es auch zu überlegen, ob die Isolationsmassnahmen vor allem auf gefährdete Personen beschränkt werden sollten und jungen, kaum gefährdeten Menschen der Zugang zu Erholung und Arbeit wieder zugelassen werden sollte.
Für junge Menschen sei die Infektion mild, erklärt der Chefarzt am KSSG der Zeitung weiter. Zwar sterbe in Italien eine von zehn diagnostizierten Personen, gemäss der Erkenntnisse einer neuen Publikation im Wissenschaftsjournal «Science» sei das statistisch wohl eine von 1 000 angesteckten Personen. Demnach sind rund 85 Prozent aller Infektionen erfolgt, ohne dass jemand die Infektion bemerkt hat. Zudem sind 90 Prozent der verstorbenen Patienten nachweislich über 70 Jahre alt, 50 Prozent über 80 Jahre.


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