Warum Pflegefachfrauen und Ärztinnen nicht streiken

Würden Ärztinnen und Pflegefachfrauen am 14. Juni ihre Arbeit verweigern, wären die Spitäler lahmgelegt. Die Arbeitgeber vertrauen jedoch darauf, dass ihre weiblichen Angestellten nicht wirklich streiken. Ein Kommentar.

, 29. Mai 2019 um 04:45
image
  • spital
  • ärzte
Ärztinnen und Frauen in Pflegeberufen werden am 14. Juni nicht streiken. Denn ohne sie ginge es nicht. Daran lassen auch die Arbeitgeber in den Spitälern keinen Zweifel. Auf den Gedanken, dass am 14. Juni alle Frauen ihre Arbeit niederlegen könnten, lassen sie sich gar nicht erst ein: «Das wäre zu spekulativ», erwiderte Michel Hassler, Mediensprecher der Insel-Gruppe, eine entsprechende Anfrage der «Berner Zeitung».

Einen richtigen Frauenstreik hat kein Spital in Rechnung

Die Spitalverantwortlichen nehmen einen Streik der Frauen so wenig ernst, dass sie sich nicht einmal ein Szenario ausdenken, falls die Frauen wider Erwarten plötzlich doch ihre Arbeit verweigern würden. Stattdessen verlassen sich die Spitäler voll und ganz darauf, dass ihre weiblichen Angestellten am 14. Juni alles unter einen Hut bringen werden.

Die Männer könnten das Spital nicht am Laufen halten

Vielleicht geht die eine oder andere Mitarbeiterin kurz an eine Kundgebung, sofern sie frei hat oder jemand anderen organisiert hat, der für sie einspringt. Aber die Spitalverantwortlichen sind zuversichtlich, dass die Frauen sicher nichts unternehmen werden, was die Männer im Spital unter Druck setzen könnte. Dabei müssten sie sich eigentlich viele Gedanken machen. Denn:  Würden die Frauen streiken, könnte wohl nirgends ein Spitalbetrieb aufrechterhalten werden.

Im Unispital Zürich arbeiten in der Pflege 83 Prozent Frauen

Beim Personal der Insel-Gruppe beträgt der Frauenanteil 72 Prozent, im Unispital Zürich 70 Prozent. Schaut man nur den Pflegebereich an, sind es in Zürich sogar 83 Prozent Frauen, welche diesen Bereich bewältigen.

Ist das ein Streik?

Selbstverständlich dürfen jene Frauen, die das wollen an den Kundgebungen am 14. Juni teilnehmen, versichern die Pressesprecher der Spitäler wohlwollend. Sie fügen dann aber hinzu: «Sofern sie das in ihrer Freizeit machen» oder beim Unispital Zürich heisst es, «sofern die medizinische Versorgung der Patienten jederzeit sichergestellt ist.» Das bedeutet: Die Frauen dürfen schon streiken, aber nur, wenn es ihr Arbeitsplan erlaubt.

«Wir helfen immer den anderen - Ab subito helfen wir uns selbst»

Ist das ein Streik? Wenn Frauen ihre Arbeit nur niederlegen dürfen, sofern sie vorher dafür sorgen, dass jemand anderes für sie einspringt? Ein Streik bedeutet nicht, dass ein Unternehmen weiter funktioniert wie immer. «Wenn frau will, steht alles still» hiess 1991 das Motto des allerersten Frauenstreiks. Die Frauen des Universitätsspitals Zürich demonstrierten an der Rämistrasse mit kämpferischen Parolen wie: «Wir helfen immer den anderen - Ab subito helfen wir uns selbst». Und: «Das Gesundheitswesen macht uns krank».

Zu vernünftig zum Streiken

Wohl in keinem anderen Unternehmen hätte es so grosse Auswirkungen wie in den Spitälern, wenn die Frauen tatsächlich streiken würden und alles stillstünde. Nur deshalb, weil Pflegefachfrauen und Ärztinnen so vernünftig sind, keine Leben aufs Spiel zu setzen, werden die Spitäler am 14. Juni vermutlich nicht stillstehen.

Streiken heisst nicht, ein Abzeichen zu tragen

Ehrlicherweise sollten die Frauenstreik-Organisatorinnen aber auch klar sagen, dass die «überlebenswichtigen» Frauen in den Spitälern nicht streiken. Weil es sonst ans Lebendige ginge. Doch stattdessen empfehlen sie diesen einen «Alibi-Streik»: Sie könnten ja aus Solidarität ein Abzeichen tragen. Hauptsache, die Frauen sorgen auch am Streiktag dafür, dass alles läuft wie gewohnt.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Auf dem richtigen Weg

Der Markt für Krankenhaus-Informationssysteme (KIS) befindet sich in einer Phase tiefgreifender Transformation. Die aktuellen Trends und Herausforderungen der Branche sowie die Erwartungen der Kliniken beleuchtet Dirk Müller, Director Product Management CIS4U bei Dedalus HealthCare.

image

«Manche haben unrealistische Erwartungen an die Schweiz»

Die Schweiz erscheint für viele ausländische Ärzte als Traumland. Was es braucht, damit der Jobwechsel gelingt, erklären die Ärztevermittler Francesca und Jan Saner.

image

«Schauen Sie genau, wen Sie heiraten – das meine ich ernst.»

Seilschaften, starre Regeln und intransparente Gehälter bremsen Frauen auf dem Weg zur Chefarztposition. Rückhalt daheim ist entscheidend – und Teilzeit ist problematisch: Das sagt Susanne Renaud, Chefärztin Neurologie am Spital Neuenburg.

image

Sparprogramme reichen nicht: Das Spitaljahr im Check

Kooperationen, weniger Angebote, effizientere Abläufe, Schliessungen, Nullrunden bei den Löhnen: Die öffentlichen Akutspitäler haben viel getan, um die Finanznot zu bekämpfen. Fazit: So geht es trotzdem nicht weiter.

image

Spitäler 2025 und 2026: Bessere Margen – aber grosse Tarif-Fragezeichen

Die Finanzchefs der Schweizer Spitäler erwarten fürs Erste eine etwas bessere Rentabilität. Zugleich sorgt das neue Tarifsystem für Unsicherheit. Die Erwartungen reichen von Mehreinnahmen bis zu spürbaren Einbussen.

image

Die 10-Prozent-Illusion der Schweizer Spitäler

Eine Betriebsrendite von zehn Prozent galt lange als Überlebensregel für Akutspitäler. Womöglich ist dieser Richtwert inzwischen zu tief. Die Beratungsfirma PwC fordert mehr Effizienz – die Spitäler höhere Tarife.

Vom gleichen Autor

image

«Das Inselspital ist noch lange nicht über den Berg»

Das Inselspital wartete mit guten Meldungen auf. Doch der Insel-Kritiker Heinz Locher gibt keine Entwarnung.

image

So entgehen Sie dem Hochstapler-Syndrom

Viele Ärztinnen und Ärzte überfordern sich – und glauben dann selber, dass sie über ihrem Können spielen. Das ist schlecht für die Psyche.

image

Im Schaufenster stehen vor allem unwirksame Medikamente

Bieler Ärzte schlagen eine neue Etikette für rezeptfreie Arzneimittel vor. Sie soll zeigen, wie verlässlich die Wirksamkeit nachgewiesen worden ist.