Ärztemangel? Kommt doch völlig drauf an. Dies lässt sich jedenfalls aus interessanten Daten schliessen, die der Think Tank der deutschen Krankenkassen veröffentlicht hat. Danach braucht es in den nächsten 15 Jahren beispielsweise massiv mehr Urologen oder Augenärzte – dafür weniger Pädiater und Gynäkologen.
Die Idee dahinter: Es macht wenig Sinn, bei einer sich wandelnden Bevölkerung einfach die jetzige Ärztestruktur weiterzurechnen. Es gibt Zuwanderungs- und Abwanderungs-Regionen, und es gibt Altersverschiebungen. Und wenn das Durchschnittsalter steigt, so drängen sich auch gewisse Krankheiten mehr auf als bisher – und folglich auch gewisse Facharzt-Anforderungen. Obendrein hat der medizinische Fortschritt ebenfalls Folgen.
Danach werden vor allem Urologen, Augenärzte, Fachinternisten und Hausärzte in den Jahren bis 2035 zeitlich stärker von Patienten beansprucht werden als heute. Im deutschen Durchsschnitt wird die Beanspruchung der Urologen um 23 Prozent steigen, jene der Augenärzte um 20 und die der Fachinternisten um 15 Prozent. Für Hausärzte erwarten die Wissenschaftler eine zusätzliche Beanspruchung von durchschnittlich 9 Prozent.
Mandy Schulz, Thomas Czihal, Jörg Bätzing-Feigenbaum, Dominik von Stillfried: «Zukünftige relative Beanspruchung von Vertragsärzten – Eine Projektion nach Fachgruppen für den Zeitraum 2020 bis 2035», ZI, Juni 2016.Natürlich müsste noch geprüft werden, wie sehr sich die Situation in Deutschland auf die Schweiz übetragen lässt. Die Grundidee dürfte aber hier genauso gelten. Dass es weniger Pädiater und Gynäkologen bedarf, wenn es weniger Kinder und Jugendliche gibt, ist schliesslich eine nachvollziehbare Einsicht. Für die erwähnten zwei Facharztgruppen erwartet die Modellrechnung denn auch einen Rückgang der Beanspruchung um 10 Prozent.
Heutige Erwartungen auf dem Prüfstand
«In jedem Fall führt der neue Index vor Augen, dass heutige Vorstellungen davon, welche Regionen über- oder unterversorgt sind, mit Blick auf die nahe Zukunft auf den Prüfstand gehören», sagt Dominik von Stillfried, der Geschäftsführer des ZI. «Das gilt besonders dann, wenn zusätzlich berücksichtigt wird, dass der medizinische Fortschritt immer mehr ambulante Behandlungen möglich und immer weniger Krankenhausbehandlung notwendig macht.»