Teledermatologie: «Alle andere Möglichkeiten sind einfach schlechter»

E. Paul Scheidegger nutzte in seiner Praxis früh die Chancen der Digitalisierung. Nun gründete er eine neue Telemed-Plattform: OnlineDoctor.ch. Aufs Telefon will er bald ganz verzichten.

, 1. Februar 2018 um 05:00
image
  • telemedizin
  • trends
  • praxis
  • dermatologie
  • kanton aargau
Herr Scheidegger, Sie haben eine Plattform für Online-Dermatologie-Beratung gegründet. Was hat Sie dazu veranlasst, OnlineDoctor.ch ins Leben zu rufen?
Als dermatologischer Konsiliararzt am Kantonsspital Baden bekam ich viele Zuweisungen von Assistenzärzten, die ihre Smartphones einsetzten, um rasch ein Bild zu schicken. Die Fotos kamen per SMS, WhatsApp, Mail-Attachment – alles ziemlich unstrukturiert und aus Datenschutzsicht nicht einwandfrei. Ich fand, das liesse sich doch professionalisieren. Später begannen wir, auch in unserer Praxis mit solchen Bildern zu arbeiten, um die Patienten rasch beraten zu können. Da merkten wir, dass die Patienten noch viel selbstverständlicher mit solchen Technologien umgehen als junge Ärzte.
Für welche Ärzte kann es interessant sein, sich bei Onlinedoctor.ch anzumelden und dort mitzumachen?
Dermatologen, Hausärzte, Spitäler – bei allen gibt es andere Aspekte und Nutzenversprechen.
  • image

    E. Paul Scheidegger

    Eugen Paul Scheidegger, 55, führt die Haut-, Allergie- und Venenpraxis in Brugg. Ende letzten Jahres lancierte der Dermatologe mit zwei Dozenten der HSG die Beratungs-Plattform OnlineDoctor.ch. — Scheidegger studierte in Zürich und Wien, durchlief eine Postdoc-Ausbildung in den USA und arbeitete am Kantonsspital Aarau. Als Praxisarzt arbeitete er in Zürich, Meilen und Brugg.

Es geht also auch darum, dass ein Allgemeinpraktiker über Ihre Online-Plattform fachärztliche Beratung einholt?
Ja, das ist eine Seite. Ein Hausarzt erhält innert zwei Tagen eine fachärztliche Rückmeldung. Er bekommt eine Zweitmeinung, und er kann das ja auch den Patienten weiterverrechnen. Noch interessanter sind für uns Spitäler. Wir haben unter anderem dem Kantonsspital Baden bereits eine enge Kooperation. Das Interesse seitens der Spitäler ist sehr gross.
Und dann gibt es die Dermatologen, die sich selber als OnlineDoctor einschreiben und so Patienten gewinnen.
Vor allem können sie auf diesem Weg rascher beraten. In unserer Praxis haben wir mehrmonatige Wartezeiten. Wenn sich also jemand meldet, schlagen wir ihm vor, seine Anfrage zunächst über OnlineDoctor.ch einzureichen. Der Patient erhält rasch eine erste Einschätzung und ich kann die eingehenden Fälle triagieren. 

«Wir müssen unseren Service gar nicht im Tarmed abbilden»

Diese Dienstleistung bezahlt der Patient beispielsweise mit Kreditkarte. Die Erfahrungswerte der ersten Monate zeigen aber auch, dass sich die Plattform sehr gut als Instrument zur Patientenakquise nutzen lässt. Dies ist insbesondere für Praxen spannend, die nicht über mehrere Monate ausgebucht sind.
Wie reagieren die Leute?
Das wird klaglos akzeptiert. Denn alle anderen Möglichkeiten sind einfach schlechter: Man wartet länger, man muss anreisen und abreisen – da sind 55 Franken unter dem Strich immer noch günstiger. Es ist interessant: Von den über 300 Patienten, die wir bislang so betreuten, wollte kein einziger einen Rückforderungsbeleg. Wir müssen diesen Service also gar nicht im Tarmed abbilden.
Sie müssen nicht. Wollen sie es auch nicht?
Wir tun es einfach nicht. Da möchten wir die Leute schon ein bisschen erziehen, sie abbringen von der Idee, dass alles gratis ist im Netz. Wer unsere Dienstleistung schätzt, redet gar nicht lange über diese 55 Franken. Das sind oft Digital Natives und Menschen, die sowieso einen Selbstbehalt von 2'500 Franken haben.
image
OnlineDoctor.ch ist eine Teledermatologie-Plattform, auf der die Patienten Zugang zu einem Hautarzt erhalten; sie können Bilder von Hautläsionen übermitteln und erhalten innerhalb von zwei Tagen eine fachärztliche Einschätzung und eine Empfehlung zugemailt. Der Standardpreis für den Service beträgt 55 Franken. + Mehr +
Eigentlich müssten Sie für OnlineDoctor jetzt die Krankenkassen als Vertriebspartner und Sponsoren gewinnen.
Natürlich, die arbeiten ja auch an solchen Modellen. Aber es braucht auch Zeit und Engagement, bis alle gesehen haben, dass eine digitale Konsultation genauso gut sein kann wie ein Arztbesuch, der 80 Franken oder mehr kostet. In meiner Erfahrung ist es so, dass etwa 85 Prozent der Praxisbesuche eigentlich überflüssig sind.
Es gibt inzwischen rund 40 Dermatologen, die auf OnlineDoctor eingeschrieben sind und die man dort angehen kann. Die machen das vor allem nebenher, für die ist das ein Zustupf – richtig?
Das Interesse seitens der Dermatologen ist wirklich sehr gross. Aktuell kommen sehr viele Kollegen von sich aus auf uns zu. Und jetzt haben wir so viele Anfragen, dass wir die interessierten Dermatologen nur Schritt für Schritt aufschalten können. 

«Das Telefon ist ein Haupthindernis für die Prozessoptimierung einer Arztpraxis»

Was reizt die Ärzte an der Sache? Reich wird man damit ja kaum.
Das häufigste Motiv: Man will den Zug nicht verpassen; man will bereit sein für die Digitalisierung. Die Ärzte suchen eine digitale Heimat, und OnlineDoctor bietet ein Spielfeld dafür. Der zweite Aspekt ist die Tarmed-Freiheit. Ich denke, der Markt wird sich auftrennen. Da gibt es dann die analogen Patienten, die länger warten können und persönlich in die Praxis kommen. Und es gibt die anderen. Ich selber möchte bald ganz auf das Telefon verzichten, zumindest als Eintrittspforte zu meiner Praxis. Das Telefon ist ein Haupthindernis für die Prozessoptimierung einer Arztpraxis.
Als Dermatologe sind sie allerdings auch in einem Feld tätig, wo die Kommunikation über Bilder gut möglich ist.
Klar. Aber ich bin auch gezwungen, die Marktmöglichkeiten auszunutzen. Ich kann heute nicht mehr nur den Raum Brugg bedienen, sondern muss mich für die ganze Schweiz öffnen.
image
Hautcheck innert 2 Tagen: Das Team von Onlinedoctor in St. Gallen, mit Mitgründer Paul Scheidegger (3.vl) | Bild: PD
Aber wie finden Patienten aus der ganzen Schweiz zu Ihnen? Wie kommt die OnlineDoctor-Plattform zu ihren Patienten?
Es ist heute schon so, dass eine Mehrheit der Patienten via Google oder Local.ch sucht. Man setzt also Suchbegriffe ein – «Hautarzt», «Doktor», «Aargau», «Brugg» –, und wenn man dann bei mir landet, erhält man auch den Hinweis, dass wir auch online zur Verfügung stehen. Heutige Patienten sind ohnehin kreativ; sie finden auch heraus, welche Ärzte beispielsweise in den Social Media aktiv sind und wer rasch reagiert. Auf der anderen Seite hat jeder der 40 Dermatologen, die bei uns sind, auch tausende Patienten im Stamm…
…das ist wohl ein entscheidender Punkt.
Genau. Zumal all diese Patienten dann weitere Patienten kennen.
Und dann arbeiten Sie auch noch mit Google-Optimierung?
Sicher. Ich weiss daher auch, wer sich für meine Praxis interessiert: Die Mehrheit arbeitet in Zürich, aber wohnt im Aargau. Zu mir stösst also die Pendlergeneration. Und ich weiss auch, dass man allgemein am Dienstag zwischen 8 und 10 Uhr via Desktop-Gerät am meisten nach einem Arzt sucht; also bei der Arbeit, nachdem man den Überhang vom Wochenende abgearbeitet hat.
Sie blicken auch über die Grenze hinaus, OnlineDoctor will auch nach Deutschland und Österreich expandieren. Das Prinzip liesse sich leicht global streuen. Ist das die Idee?
So eine Plattform funktioniert global, solange man lokal verwurzelt ist. Man braucht also immer auch Ärzte, die im jeweiligen Land arbeiten. Aktuell liegt unser Fokus auf der Schweiz. OnlineDoctor ist eine Plattform, die 100 Prozent Swissmade ist und für in der Schweiz ansässige Dermatologen konzipiert wurde.
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Arzt-Rechnung an Patienten statt an Kasse: Das empfiehlt die FMH

Immer mehr Krankenkassen wollen Arzt-Rechnungen direkt begleichen. Die FMH hingegen empfiehlt: Die Rechnung soll zuerst an die Patienten gehen.

image

Arzt wies Patienten ab – wegen seiner Parteizugehörigkeit

Dieser Fall versetzte Deutschland in Aufruhr: Ein Hausarzt wollte einen Patienten nicht mehr – weil er bei der AfD-Partei ist.

image

Migros: 1,3 Milliarden Umsatz im Gesundheitswesen

Der Detailhandels-Konzern baut sein Healthcare-Netzwerk auch nach dem Abgang von Fabrice Zumbrunnen aus.

image

Ex-KSW-Chefarzt lanciert interventionell-radiologische Tagesklinik

Christoph Binkert verbündet sich mit dem Medizinisch-Radiologischen Institut MRI in Zürich.

image
Gastbeitrag von Peter Baumgartner

Ambulante Psychiatrie: Ohne neue Berufsprofile und KI wird’s kaum gehen

Der Fachkräftemangel in der Psychiatrie verlangt einen massiven Umbau der Versorgung. Aber wie? Ein realistisches Zukunftsszenario.

image

Und wie schliessen wir dann das EPD an unser KIS an?

Fast 400 Millionen Franken nimmt der Bund in die Hand, um das Gesundheitswesen zu digitalisieren. Zugleich nimmt er die Software-Anbieter und Spitäler in die Pflicht.

Vom gleichen Autor

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.