Spital Thun: Wirbel um Chefarzt-Wahl

Das Spital Thun hat einen deutschen Arzt zum neuen Leiter der chirurgischen Klinik ernannt – trotz fehlendem Diplom. Nun kritisieren leitende Spitalärzte der Schweiz die Anstellungspraxis.

, 11. November 2015 um 08:54
image
Das oberste Gremium des öffentlichen Spitals Thun hat im Oktober den Chirurgen Georg R. Linke zum Leiter der chirurgischen Klinik ernannt. Linke, heute Oberarzt an der Universitätsklinik Heidelberg, soll seine neue Stelle im Januar antreten.
Die Anstellungspraxis des Verwaltungsrats stösst gewissen Ärzten aber offenbar sauer auf, wie die «Berner Zeitung» am Mittwoch berichtet. Die Kritikpunkte dabei sind:
1. Fehlende Ausschreibung: Das Spital habe einen deutschen Chefarzt angestellt, ohne die Stelle ausgeschrieben zu haben. Interessenten aus der Schweiz hätten so keine Chance gehabt, sich zu bewerben.
Für Hans-Ueli Würsten, Präsident beim Verein der Leitenden Spitalärzte der Schweiz (VLSS) ist dieses Vorgehen «inakzeptabel». Es gehe nicht darum, Schweizer Ärzte zu bevorzugen, aber um Chancengleichheit, sagte er der BZ.
Das Beispiel Thun sei nur die Spitze des Eisberges. Auch anderswo würden Ärzte direkt in Deutschland rekrutiert, ohne dass vorher in der Schweiz gesucht wurde, so Würsten. 
2. Fehlendes Diplom: Dem designierten deutschen Klinikleiter fehlt ein für Chefärzte wichtiges Diplom, der Schwerpunkttitel in Viszeralchirurgie. 
Die Prüfung, die der Chirurg in der Schweiz ablegen muss, sei alles andere als Formsache, sagen Insider, die Anforderungen deutlich höher als in Deutschland. 
Kritiker munkeln nun, die Anstellung des Heidelberger Arztes könnte mit einem ähnlichen Flop enden wie bei der Anstellung von Jean-Paul Schmid als Leiter der Abteilung Innere Medizin in Thun. Dieser konnte die Stelle nicht antreten, weil der erforderliche Facharzttitel FMH fehlte.

Nur deutsche Assistenten?

Schweizer Ärzte befürchten laut dem Zeitungsbericht schliesslich, dass der neue Chef die guten Posten in seinem Team mit Vertrauten aus seiner Heimat besetzt.
«Die Angst der Schweizer Ärzte ist berechtigt», sagt Hans-Ueli Würsten. Jedes Mal, wenn ein deutscher Arzt in einem Schweizer Spital einen Kaderposten bekomme, gehe ein Raunen durch die Ärzteschaft.
Würsten kenne tatsächlich deutsche Kaderärzte an Schweizer Spitälern, die offen dazu stehen, dass sie ausschliesslich Assistenzärzte aus Deutschland engagieren.
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

KSA: Weiterer Abgang in der Geschäftsleitung

Sergio Baumann ist nicht länger beim Kantonsspital Aarau tätig: Der Betriebsleiter, der zeitweise als interimistischer CEO fungierte, hat sein Büro bereits geräumt.

image

Jede Notfall-Konsultation kostet 460 Franken

Notfallstationen werden immer öfter besucht. Eine Obsan-Studie bietet neue Zahlen dazu. Zum Beispiel: 777'000 Personen begaben sich dreimal in einem Jahr auf den Spital-Notfall.

image

Zürcher Krankenhäuser und Versicherer haben sich geeinigt

Nun ist ein jahrelanger Streit beendet: Die Zürcher Spitäler vereinbaren mit Helsana, Sanitas und KPT einen Taxpunktwert von 93 Rappen - ein Kompromiss.

image

Balgrist-Team behandelt im Spital Männedorf

Das Spital Männedorf hat eine neue Klinik für Orthopädie und Traumatologie. Das Team kommt vom Balgrist.

image

Solothurner Spitäler: Bericht zu CEO-Lohn bleibt vorerst geheim

Noch ist unklar, ob Zusatzzahlungen an den Ex-Chef der Solothurner Spitäler rechtens waren. Der Bericht dazu ist da - aber nicht öffentlich.

image

Kispi wegen «Riesenfete» kritisiert – doch die Köche arbeiten gratis

Das überschuldete Kinderspital Zürich feiere seinen Neubau mit einem Michelin-Sternkoch, schreibt ein Online-Medium provokativ.

Vom gleichen Autor

image

Arzthaftung: Bundesgericht weist Millionenklage einer Patientin ab

Bei einer Patientin traten nach einer Darmspiegelung unerwartet schwere Komplikationen auf. Das Bundesgericht stellt nun klar: Die Ärztin aus dem Kanton Aargau kann sich auf die «hypothetische Einwilligung» der Patientin berufen.

image

Studie zeigt geringen Einfluss von Wettbewerb auf chirurgische Ergebnisse

Neue Studie aus den USA wirft Fragen auf: Wettbewerb allein garantiert keine besseren Operationsergebnisse.

image

Warum im Medizinstudium viel Empathie verloren geht

Während der Ausbildung nimmt das Einfühlungsvermögen von angehenden Ärztinnen und Ärzten tendenziell ab: Das besagt eine neue Studie.