Spart lieber bei den Diagnosen!

Jörg Reinhardt von Novartis, Severin Schwan von Roche: Die Chefs der beiden Schweizer Pharma-Riesen äussern sich gleichzeitig zu den Gesundheitskosten – und sichten das Hauptproblem keineswegs bei den Medikamenten.

, 9. Juni 2015 um 08:05
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Es wirkt wie abgesprochen, ist aber eher Zufall: An diesem Montag äussern sich gleich die Chefs beider Schweizer Pharmariesen zur den Medikamentenpreisen. Und beide stellen dabei ein Argument ins Zentrum: nämlich dass die Pharma-Produkte nur zehn Prozent der Schweizer Gesundheitskosten ausmachen.
Jörg Reinhardt, der Präsident von Novartis, meint im Interview mit dem «Tages-Anzeiger»: «Wenn wir die Kosten im Gesundheitswesen massgeblich senken wollen, müssen wir uns auch um die restlichen 90 Prozent der Kosten kümmern, was politisch heikel ist.»
Und auch Severin Schwan, der CEO von Roche, betont im Interview mit der «Aargauer Zeitung»: «Es ist eine Mär, dass die Gesundheitskosten durch Medikamentenkosten getrieben werden; sie machen nur 10 Prozent aus, Tendenz sinkend.»

«Patient hier hin geschickt, da hin geschickt»

Bemerkenswert nun die Sparvorschläge, die Novartis-Präsident Reinhardt dabei macht: Einsparpotential bestehe eher im diagnostischen Bereich – dort werde «viel Unnötiges gemacht, das die Kosten treibt».
Zum Beispiel würden in der Schweiz zu oft Computertomografien verordnet. Problematisch sei auch, dass die Mediziner für ein Krankheitsbild verschiedene diagnostische Verfahren gleichzeitig anwenden, wo doch eines reichen würde.
«Der Patient wird hier hingeschickt, da hingeschickt, die Krankenhäuser müssen ihre Geräte auslasten. Das treibt die Kosten schon.»

Nur bezahlen, was dem Patienten hilft

Ziel müsse sein, dass nur das bezahlt werde, was dem Patienten hilft, so Reinhardt: «Das wird sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren entwickeln. Wir bezahlen nicht mehr pro einzelner Massnahme, sondern dafür, dass sich der Patient besser fühlt. Wenn er sich nicht besser fühlt, zahlt man nicht.»
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Severin Schwan, Konzernchef von Roche
Severin Schwan, der Roche-Chef, betont wiederum, dass der Anteil der Medikamentenpreise an den Gesundheitskosten sogar sinke und die Medikamentenpreise gesunken seien. Preisermässigungen der Pharmakonzerne seien andererseits schwierig: Der Schweizer Markt sei doch wichtig – zumal er eine Signalwirkung auf andere Länder hat.
«Übrigens», so Schwan: «Volkswirtschaftlich macht die Schweiz mit der Pharmaindustrie ein super Geschäft. Wir zahlen in der Schweiz ein x-Faches an Steuern, als wir Umsatz machen.»

Teure Medikation kann langfristig günstig sein

Im Interview mit Novartis-Präsident Reinhardt kommt auch ein anderes brisantes Medikations-Thema aufs Tapet: die Rationierungs-Ansätze bei Hepatitis-C-Präparaten. Es sei «ethisch sehr fragwürdig, wenn nicht alle Patienten von einem Medikament profitieren, das ihnen helfen könnte», sagt Reinhardt. «Da kann es zu einer willkürlichen Auslese kommen.»
Vor allem neige das Bundesamt für Gesundheit zu einer kurzfristigen Perspektive, wenn es den Einsatz von Hepatitis-C-Mitteln wie Harvoni bremse: Heilung sei manchmal nur zu hohen Kosten möglich. Doch langfristig lohne es sich auch finanziell, «weil der Patient das Gesundheitssystem später nicht mehr oder deutlich weniger belastet.»
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