Dass Mediziner zur Beschränkung von medizinischen Leistungen auffordern, kommt selten vor. Im Fall von Schilddrüsenkrebs tut nun aber ein breit abgestütztes wissenschaftliches Team genau das.
Schilddrüsenkrebs wird in der Schweiz immer häufiger diagnostiziert und operiert. «Ein grosser Teil der Fälle scheint überdiagnostiziert und überbehandelt zu sein», lautet das Fazit einer Studie der Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin am Inselspital Bern, des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Lausanne und des Instituts für Hausarztmedizin der Universität Bern.
Viel mehr Neuerkrankungen
Die Wissenschaftler verglichen in
Krebsregisterdaten, wie oft zwischen 1998 und 2012 in der Schweiz die Diagnose Schilddrüsenkrebs gestellt wurde und wie viele Schilddrüsen-Resektionen durchgeführt wurden.
Die Ergebnisse wurden mit der Sterblichkeit an Schilddrüsenkrebs über die Jahre abgeglichen. Während über die Zeit etwas weniger Menschen an Schilddrüsenkrebs starben, schnellten die Diagnosen der Erkrankung in die Höhe.
Laut Krebsregister sind zwischen 2009 und 2013 3'547 Neuerkrankungen aufgetreten, und es kam zu 314 Todesfällen. Zwischen 1999 und 2003 waren es 2'008 Neuerkrankungen und 358 Todesfälle gewesen.
Bei den Frauen nahm die Zahl der Erkrankten pro 100'000 Personen jährlich von 5,9 auf 11,7 zu. Bei den Männern stieg die Zahl der Erkrankten jährlich von 2,7 auf 3,9 pro 100'000 Personen.
Kleine «Krebse»
Die Forscher erklären die wachsende Zahl der Diagnosen als Folge von zufällig oder durch Vorsorgeuntersuchungen entdeckte Schilddrüsenknoten. Dabei würden oft kleine «Krebse» gefunden, die aufgrund ihres harmlosen Gewebetyps der betroffenen Person zu Lebzeiten keine Beschwerden bereiten würden.
Auch Frühformen von Schilddrüsenkrebs tragen zum Zuwachs bei. Trotzdem dieser relativ harmlosen Diagnosen fanden drei- bis viermal so viele Schilddrüsen-Resektionen statt.
Laut den Autoren muss nun untersucht werden, welche Personen von einer Früherkennung und -behandlung profitieren und welche nicht.