Er war Spitalplaner, Präsident des Krankenkassenverbandes und ist als Gesundheitsökonom bis heute einer der meist zitierten Akteure im Gesundheitswesen. Nun tritt der 76-jährige Heinz Locher etwas kürzer. Doch während andere ihren Ruhestand geniessen, will der Berner nichts weniger als einen Aufstand anzetteln. Denn ihn beschäftige die Frage: «Wie löst man Revolutionen im Gesundheitssystem aus?»
Der liberale Gesundheitsökonom ist überzeugt: Das aktuelle Gesundheitssystem ist nicht nur in einer Sackgasse - es ist auch kaum reformierbar. Zu viele regulatorische Ebenen gebe es; zu stark verknüpft seien die einzelnen Akteure miteinander. «Reformen werden durch ein Kartell der mächtigen Verbände und der von ihnen bezahlten Parlamentarier verhindert», sagt Locher. Weiter fehlten Leitbilder für ein zeitgemässes und sinnvolles Gesundheitssystem.
Indische Ideen gegen die Blockade
Unter einem «sinnvollen System» versteht Locher eines, dass nicht zuletzt die Hausarztmedizin stärkt - auch an den Spitälern. Auch sollte beim System die Qualität und der Mehrwert der Angebote im Zentrum stehen - und nicht der Fokus auf die Einnahmen. Weiter schlägt Locher die Schaffung eines Experimentierartikels vor. Dies alles soll eine Dynamik bei den Anbietern auslösen. Eine die mithilft, das ganze System zu erneuern. Doch wie soll das gehen? Schliesslich ist es doch Locher selbst, der eine Blockade im System konstatiert hat.
Locher arbeitet dazu derzeit an einer «Metastrategie zur Auslösung des notwendigen Kulturwandels im Gesundheitssystem». Dazu holt er sich Inspiration im vor kurzem erschienenen Buch der amerikanisch-indischen Gesundheitsökonomen Vijay Govindarajan und Ravi Ramamurti. Ihr Buch heisst
«Reverse Innovation in Health Care: How To Make Value-Based Delivery Work» (Die Umkehr der Innovation im Gesundheitswesen: Wie mehrwertorientierte Angebote funktionieren). Darin werden anhand von fünf aus dem indischen Gesundheitswesen stammenden Modellen Wege aufgezeigt, wie ein System geschaffen werden kann, das gute Angebotsqualität und tiefe Preise vereint. Ein solches müsse es auch in der Schweiz geben, findet Locher.
«Aufsicht beim Bund zusammenführen»
Wie die beiden Buchautoren ihrem Werk anregen, sucht Locher nun nach «losen Ziegelsteinen» im schweizerischen Gesundheitssystem - Ansetzpunkte, um dieses Grundlegend zu reformieren. So will Locher die angesprochene Dynamik anstossen. Und er suche nach «progressiven gesellschaftlichen» Akteuren - institutionelle ebenso wie gesellschaftliche. Gemeinsam mit diesen Partner will Locher Druck erzeugen, der die Politik unter Zugzwang setzt. Diese müsste handeln, findet Locher. Etwa indem sie die regulatorischen Verantwortlichkeiten beim Bund zusammenführe.
Süchtig nach Geld
Mit einer Summe von überraschenden Interventionen und tiefgehenden Massnahmen könne das aktuelle Patt im Gesundheitswesen überwunden werden, ist Locher überzeugt. «Auch das Kostenwachstum kann so gebremst werden.» Der Gesundheitsökonom vergleicht das heutige Gesundheitswesen mit einer substanzsüchtigen Person. Das Suchmittel des Gesundheitswesens: Geld.
Seine Vorschläge versteht Locher denn auch als Therapie. Funktionaler wäre das geheilte System sein - und günstiger, sagt Locher. Gleichwohl schlägt er als eine weitere Massnahme vor, die Prämienbelastung für die Prämienzahler zu beschränken. Dies, indem man etwa vorschreibe, das kein Privathaushalt mehr als 10 Prozent seines Budgets für die Gesundheit ausgeben muss. Dass derzeit zwei geplante Volksinitiative in eine ähnliche Richtung zielen, begrüsst er. Vielleicht, ja vielleicht habe die Revolution ja schon begonnen.