«Overuse»: Die Schweizer Ärzte nehmen Stellung

Die FMH hat ein Positionspapier zu den Gefahren der «Rundum-Versorgung» veröffentlicht. Die wichtigsten Punkte.

, 18. Februar 2016 um 08:01
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Der Einsatz von überflüssigen oder übertriebenen Diagnose- und Therapie-Massnahmen gerät bekanntlich mehr und mehr in die Kritik – beziehungsweise ins Visier von politischen Bemühungen zur Dämpfung der Gesundheitskosten. Zur Debatte steht dabei stets auch über die Rolle der Mediziner. Nachdem die Hausärzte vor knapp zwei Jahren mit ihrer Liste vermeidbarer Behandlungen vorangegangen waren, zeigten sich andere medizinische Fachgruppen eher zögerlich darin, konkrete Massnahmen zu beschliessen.
Wie ist also die Haltung der Ärzte in diesem Problemfeld? Was sind ihre Lösungsansätze? Der Berufsverband FMH liefert nun Antworten in einem Grundsatzpapier zum Thema «Overuse».

«Overuse gefährdet die Patientensicherheit»

Dabei ist die kritische Grundhaltung durchaus offensichtlich. «Overuse gefährdet die Patientensicherheit», schreibt der Zentralvorstand der FMD gleich einleitend: «Overuse zu vermeiden ist deshalb ein zentrales Anliegen der Ärzteschaft zur Verbesserung der medizinischen Qualität und der Patientensicherheit.»
Daraus leitet das Gremium eine Kernforderung ab: Der Abbau von Overuse dürfe nicht in erster Linie der Reduktion von Gesundheitskosten dienen, sondern der Verbesserung der medizinischen Qualität.

Zentralvorstand der FMH: «Die Position der FMH: Overuse mindern, Behandlungsqualität steigern», in: «Schweizerische Ärztezeitung», 07/Februar 2016.

Doch noch fehle Ärzten und Patienten häufig das nötige Bewusstsein und Wissen. Sie müssten deshalb auch fürs Thema Overuse sensibilisiert werden. Vorausblickend schreiben die FMH-Autoren zudem, dass auch weitere Berufsgruppen – etwa Apotheker – ebenfalls mit dem Thema befasst werden sollten, sofern sie denn vermehrt diagnostische Aufgaben übernehmen.
Der FMH-Vorstand verweist zudem darauf, dass es zur Lösung des Overuse-Problem dringend mehr Forschung braucht.

Was Overuse mit Boni zu tun hat

Weiter nimmt das Gremium die offensichtlichen Tempo-Unterschiede der Fachrichtungen auf: «Die Herausforderung Overuse gestaltet sich je nach Fachrichtung verschieden und erfordert demnach auch unterschiedliche Herangehensweisen», so die Einschätzung. Deshalb liege es an den einzelnen Fachgesellschaften, das Thema anzugehen (und dabei auch die kantonalen Ärzteorganisationen zu koordinieren). Sie müssten beispielsweise unangemessene Tests oder Behandlungen koordinieren; sie müssten die entsprechenden Listen und Richtlinien erarbeiten; und sie müssten das Thema in der fachspezifischen Aus- und Weiterbildung aufgreifen.
Interessanterweise nimmt das FMH-Papier einen vermeintlichen Nebenaspekt prominent auf: «Die FMH lehnt zielbezogene Bonusvereinbarungen in Spitalarztverträgen ab, insbesondere solche, die an Mengenziele geknüpft sind», steht dort als weiterer Punkt. «Denn diese setzen den Anreiz, möglichst viele Untersuchungen oder Behandlungen durchzuführen.» 

Viel Aktualität, wenig Forschung

Grundlage der gesamten Stellungnahme ist ein Papier, in dem die wissenschaftliche Mitarbeiterin Michelle Gerber, DDQ-Abteilungsleiterin Esther Kraft sowie FMH-Vizepräsident Christoph Bosshard die relevanten Aspekte diskutieren. Die Autoren kommen zur Einsicht, dass trotz der Aktualität des Themas Overuse bei der Ärzteschaft und in der Politik nur in wenigen Bereichen intensiv dazu geforscht werde. Die Erklärung: Die Erhebung von Overuse ist anspruchsvoll.
Ein Problem ist also, dass erst einmal evidenzbasierte und anerkannte Definitionen von nicht-angemessenen Behandlungen in den jeweiligen Fachbereichen entwickelt werden müssten. Obendrein: Solche Definitionen können sich durch neue medizinische Techniken und Erkenntnisse ändern.

Michelle Gerber, Esther Kraft, Christoph Bosshard: «Overuse – unnötige Behandlungen als Qualitätsproblem», in: «Schweizerische Ärztezeitung», 07/Februar 2016.

Grundsätzlich erkennen Gerber, Kraft und Bosshard aber diverse Faktoren, welche die medizinische Überbetreuung begünstigen. So die technologische Entwicklung, die immer mehr Leute als krank definiert; ferner Anreize, die die Menge an Untersuchungen ausweiten. Daraus leiten die FMH-Qualitätsprüfer ab, dass die Offenlegung von Interessenbindungen der Mediziner ausdrücklich einzufordern sei.
Ein weiterer Aspekt: Ein absicherndes Verhalten der Ärzte aus Angst vor Klagen und Beschuldigungen sollte durch ein Vorgehen wie Shared Decision Making abgemildert werden.

Overuse in sechs Punkten: Die Forderungen des FMH-Zentralvorstands


1. Im Interesse der Patientensicherheit ist Overuse zu vermindern.

2. Ein Abbau von Overuse darf nicht primär der Senkung von Gesundheitskosten dienen, sondern der Verbesserung der medizinischen Qualität.
3. Es braucht mehr Forschung zur Thematik Overuse. Dabei seien insbesondere verschiedene Lösungsansätze zu evaluieren.
4. Interessenbindungen sind offenzulegen, und nötig ist eine kritische Auseinandersetzung mit falschen Anreizen.
5. Patienten als Partner: Durch Sensibilisierung und Shared Decision Making sollen in dieser Problematik einbezogen werden.
6. Gefordert sind die medizinischen Fachgesellschaften, kantonalen Ärzteorganisationen und Dachverbände. Sie sollen bei Bedarf unangemessene Leistungen festlegen und Lösungen entwickeln.

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