Krebs, Diabetes, Depressionen: In der Schweiz leiden 2,2 Millionen Menschen an einer chronischen Krankheit.
Gestern schlugen die Behörden Alarm: Das Schweizer Gesundheitssystem sei primär auf die Behandlung von akuten Krankheiten ausgerichtet und noch zu wenig auf die Behandlung von chronisch Kranken. Es müsse sich von der heute im Fokus stehenden Akutversorgung zu einer patientenzentrierten, wirksamen und nachhaltigen Betreuung von chronisch erkrankten Personen wandeln.
Oder anders gesagt: «from cure to care».
- Selbstmanagement: Patientinnen und Patienten werden vom Gesundheitssystem zu oft als zu versorgende Subjekte wahrgenommen und behandelt. Chronisch kranke Personen haben jedoch ihre eigenen Ziele, bauen Wissen über ihre Krankheit auf und entwickeln komplexe Strategien, um mit ihren gesundheitlichen Problemen umzugehen. Die Krankheit wird in das Leben integriert. Dabei sind emotionale und spirituelle Fragen ebenso wichtig wie krankheitsbezogene Aspekte. Die Fähigkeit, eigene Strategien zur Bewältigung der Krankheit und der alltäglichen Aufgaben und Anforderungen zu entwickeln und diese immer wieder von Neuem dem Verlauf der Krankheit anzupassen, wird immer wichtiger.
- Individualität: Selbstmanagement setzt voraus, dass die Patienten ihre Sicht und ihre individuellen Bedürfnisse einbringen können und von den Gesundheitsfachleuten ernst genommen werden. Aus Sicht derPatienten ist dies in der heutigen Praxis noch zu wenig der Fall. Kritisiert wird die mangelnde Zeit wie auch die mangelnde Bereitschaft der Ärztinnen und Ärzte, auf ihre individuelle Situation einzugehen. Die Betroffenen wünschen sich eine Bezugsperson, die als eine Art «Lotse» und «Begleiter» dient und die weniger auf die Krankheit alleine fokussiert, sondern die gesamten Lebensumstände der kranken Person berücksichtigt.
- Information: Patienten beklagen sich oft über unverständliche Fachinformationen. Der Umgang mit Medikamenten ist besonders für mehrfach erkrankte Personen ein grosses Problem. Es ist für viele Personen schwierig, die Einnahme der Medikamente in ihren Alltag einzubauen. Dies und die Angst vor schädlichen Nebenwirkungen verstärkt sich mit der Anzahl der Medikamente, die eingenommen werden müssen. Patienten haben ein hohes Bedürfnis nach verlässlichen, verständlichen und praktisch relevanten Informationen.
- Prävention: Körperlich aktive Menschen haben nachweislich ein geringeres Risiko für chronische Krankheiten wie Herz-Kreislauferkrankungen, verschiedene Krebsarten oder Osteoporose. «Wenn eine Bevölkerung regelmässig zu Fuss geht, reduziert sich die Gesamtsterblichkeit durchschnittlich um 10 bis 20 Prozent; regelmässiges Velofahren vermindert die Gesamtsterblichkeit im Schnitt um 10 bis 30 Prozent», heisst es im Bericht. Bewegung gilt mithin als einer der wichtigsten Faktoren zur Eindämmung von chronischen Krankheiten und soll im ganzen Land gefördert werden.
- Psyche: Zu häufig werden chronische Krankheiten auf verhaltensbezogene Risikofaktoren und den Lebensstil reduziert. Vernachlässigt werden soziale und psychische Faktoren. Die starke Verbreitung von psychischen Problemen gerade auch in Kombination mit körperlichen Krankheiten macht es nötig, psychischen Krankheiten und psychischer Gesundheit stärkere Beachtung zu schenken.
Falsche Anreize
Der Wandel «from cure to care» ist grundlegend und er bedingt laut dem Gesundheitsbericht eine neue Zusammensetzung von medizinischen Teams, neue Zusammenarbeitsformen und eine neue Arbeitsteilung unter den Gesundheitsfachleuten. Einige Reformen zur adäquaten Behandlung von chronischen Kranken seien bereits umgesetzt worden, etwa bei den Gesundheitsberufen. Die wichtigste Hürde bleibe das Finanzierungssystem, welches in diesem Zusammenhang falsche Anreize setze.
Bild: Sunset cycling / Hakan Dahlström / Flickr