Fall Maisano: Unispital verletzt wohl Fürsorgepflicht

Statt ihren renommierten Klinikdirektor zu schützen, scheint das Universitätsspital Zürich (USZ) Francesco Maisano fallen zu lassen.

, 27. Juli 2020 um 13:38
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Francesco Maisano hat nach bisherigen Erkenntnissen nichts Unrechtes getan. Seine Stellungnahme, die der Herzchirurg mit der Anwaltskanzlei Niederer Kraft Frey verfasste, entlastet ihn praktisch von allen Anschuldigungen. Der Wissenschaftler und Spitzenmediziner zerlegt darin die gegen ihn gerichteten Vorwürfe in seine Einzelteile. Und zwar so plausibel, bis sich diese in Luft auflösen. Seine Stellungnahme richtet sich aber hauptsächlich an hochspezialisierte Fachleute (hier geht es zum Dokument). Weniger an Journalisten oder Juristen, die über zu wenig Sachkenntnisse verfügen, um die Materie ohne Einbezug von Fachleuten werturteilsfrei und unmissverständlich einzuordnen. Dasselbe trifft auch auf Maisanos wissenschaftliche Publikationen zu. Es ist notwendig, dass über die Vorgänge in der Zürcher Herzchirurgie berichtet wird, genauso notwendig ist es aber, sich nicht über medizinische und wissenschaftliche Zusammenhänge stellen zu wollen.
Auch die Abklärungen der Universität Zürich (UZH) sollten nun vor allem Fachleuten überlassen werden. Wann die Resultate vorliegen, ist nicht bekannt; die Rede ist von Ende Jahr. So lange dürfte Francesco Maisano aber wohl kaum warten. Entsprechende Angebote der Konkurrenz dürften bereits vorliegen. Wer den Herzchirurgen kennt, weiss auch, dass er kein Arzt ist, der das Rampenlicht sucht, sondern schnellstmöglich zurück in den Operationssaal zu seinen Patienten will. Viele Ärzte aus der Schweiz und aus der ganzen Welt hoffen, dass er bald wieder an seinem Arbeitplatz zurückkehren wird. Zuweiser aus der ganzen Schweiz haben bei der Spitalleitung bereits interveniert, wie Recherchen von Medinside zeigen. In Briefen weisen Spitaldirektoren, Klinikchefs und Mediziner darauf hin, dass ein Weggang von Prof. Maisano für die Zusammenarbeit ein «grosser Rückschritt» bedeuten würde. Der wichtigste Zuweiser der Herzchirurgie für das USZ hält etwa fest: «Ein Weggang von Prof. Maisano und seines Teams würde aufgrund seines grossen Impacts für die moderne kardiovaskuläre Medizin einen erheblichen Verlust für das Universitätsspital, die Universität Zürich und den Standort Schweiz bedeuten».
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Keine Rückendeckung der Unispital-Leitung für Prof. Francesco Maisano. | Screenshot Youtube

«Professoren als Wegwerfmaterial»

Ebenso macht sich vor dem Hintergrund der Vorgänge Unmut und Enttäuschung im Unispital breit. Adriano Aguzzi, der Direktor am Institut für Neuropathologie, antwortet auf die Stellungnahme von Maisano an seine Kolleginnen und Kollegen: «Institutionen werden daran gemessen, wie fürsorglich und solidarisch sie agieren, wenn ihre Professoren unverschuldet unter Beschuss geraten.» Er würde sich von seiner Institution wünschen, dass sie, wenn die Medien eine Kampagne gegen einen Professor führen, den Grundsatz der Unschuldsvermutung beherzigen, und zwar nicht nur als Lippenbekenntnis. «Denn wer will schon an einer Universität arbeiten, welche ihre Professoren als Wegwerfmaterial betrachtet und bei Problemen ihren Rechtsdienst gegen ihre eigenen Professoren wie eine Waffe richtet, anstelle sich vor ihnen schützend zu stellen?»

Whistleblower will Maisano «wegbefördern»

All diese Sorgen und Kritik nimmt die Führung des Unispitals wohl nicht ganz ernst. Anfänglich schien es, dass sich die Chefs am USZ noch hinter ihren Herzchirurgen stellen: «Mit Prof. Francesco Maisano verfügt das USZ über einen hervorragenden, international anerkannten Chirurgen und eine innovative Persönlichkeit», schrieb das USZ noch Ende Mai. Ein paar Tage später dann wurde er für zuerst drei Wochen und dann bis auf Weiteres beurlaubt. Dies, obwohl die Begründung offenbar nicht das Geringste mit seiner klinischen Tätigkeit zu tun hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass er jemals zurückkehren wird, schwindet von Tag zu Tag. 
Mit der Veröffentlichung des lückenhaften Berichts von Walder Wyss wurde zwar Transparenz geschaffen, aber Maisanos Persönlichkeitsrechte und die Fürsorgepflicht des Unispitals gegenüber ihm verletzt. Denn der Professor konnte vor der Veröffentlichung keine Stellung zum Bericht nehmen. Ein Bericht übrigens, der Francesco Maisano von allen wesentlichen Vorwürfen freisprach. Das drücken die Zeitungen von Tamedia willentlich weg und nahmen den Bericht als Basis für die vorverurteilende Berichterstattung – in Kooperation mit einem Whistleblower als offenkundigen einseitigen Informationslieferant. Und das Unispital hat nicht nur genug deutlich gemacht, dass es sich keineswegs um einen abschliessenden Bericht handelt, sondern wollte schliesslich auch nichts davon wissen, Maisanos Reaktion und Stellungnahme auf den Zwischenbericht von Walder Wyss zu veröffentlichen. Mehr noch: Der Spitalrat unter der Leitung von Martin Waser verweigerte dem Vernehmen nach sogar ein Gespräch mit ihm. Derweil kündigt der Whistleblower in Räumen des USZ dem Vernehmen nach an, dass er Maisano bald definitiv «wegbefördern» werde. Das liest sich nach einer neuen Kooperation mit dem «Tages-Anzeiger», welcher am Samstag ähnliches antönen liess, dass die Situation am USZ «gerade eskaliere».  

Erinnerungen an den Fall Grüntzig werden wach

Auf die verschiedenen Kritikpunkte angesprochen, teilt das Unispital auf Anfrage von Medinside mit, dass es zum Themenkomplex Herzchirurgie bis zum Abschluss der derzeit laufenden Untersuchungen keine weiteren Auskünfte gebe. Derzeit klärt die Universität ab, ob es in Einzelfällen zu wissenschaftlichen Ungenauigkeiten gekommen ist. Wie auch immer die Sache ausgehen mag. Für das wichtigste Zuweiserspital der Zürcher Herzchirurgie besteht kein Zweifel, dass Maisano in der kardiovaskulären Szene eine der wichtigsten Persönlichkeiten ist, welche die kardiovaskuläre Medizin entscheidend beeinflusst hat und beeinflussen wird. Ob in Zürich oder anderswo wird sich zeigen. Es wäre aber nicht das erste Mal, dass das Unispital und die Uni Zürich einen bekannten Spitzenmediziner aus unerklärlichen Gründen ziehen lässt. Denn mit dem Fortgang von Andreas Grüntzig, der am Unispital Mitte der Siebzigerjahre die welterste Ballondilatation durchführte, musste der Forschungsplatz Zürich dies bereits einmal erleben.
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