An sich wäre es der ideale Zeitpunkt gewesen: Ende April, als die Zahl der Corona-Patienten zurückging, wandte sich der Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (VSAO) an die zuständigen Parlamentskommissionen: Die vergangenen Wochen hätten gezeigt, dass die Abläufe in den Spitälern bei Bedarf sehr wohl einfacher und unkomplizierter organisierbar seien.
Alle Hände am Bett und nicht am Schreibtisch
Deshalb forderte der Verband: «Es braucht jetzt verstärkte koordinierte Bemühungen, um die Reduktion unnötiger Bürokratie zugunsten der Patientenbetreuung zu fördern.»
Noch etwas plakativer brachten es die deutschen Spitalärzte vor kurzem auf den Punkt: «Wir brauchen gerade alle Hände am Bett des Patienten und nicht am Schreibtisch.» So warb der Berufsverband der angestellten Ärzte dafür, das Spitalpersonal in der Pandemie von unnötiger Bürokratie zu befreien.
Nach der ersten Welle nichts angepackt
Doch in der Schweiz ist nichts passiert: «Auf nationaler Ebene haben wir bis jetzt keine Anhaltspunkte dafür, dass während oder als Folge der Corona-Krise eine administrative Entlastung des Gesundheitspersonals ernsthaft diskutiert oder gar gezielt Massnahmen geprüft worden wären», lautet die betrübliche Bilanz von Marcel Marti, dem stellvertretenden VSAO-Geschäftsführer, gegenüber Medinside.
Der Verband der Spitäler, Hplus, gibt ihm Recht: «Massnahmen, um die Belastung zu reduzieren, sind aus unserer Sicht seit der ersten Covid-Welle nicht ergriffen worden», sagt Stefan Althaus vom Verband der Schweizer Spitäler Hplus.
Ohne Wahleingriffe keine Mehrbelastung
In etlichen Spitälern führte die erste Welle auch gar nicht zur erwarteten Überlastung. So erklärt Adrian Grob, Mediensprecher der Insel-Gruppe: «Da im Frühjahe zeitweise auf elektive Eingriffe verzichtet wurde und die Zahl der Behandlungen insgesamt sank, gab es keine administrative Mehrbelastung.»
Doch nun, da die Spitäler voll sind, fällt sie in Gewicht, die administrative Mehrbelastung. Arzt- und Pflegepersonal investiert einen beträchtlichen Teil seiner Arbeit ins Aufschreiben, Abtippen oder Ausfüllen. Die spezielle Datenerfassung für die Covid-19-Patienten samt Bettenbelegung und Kosten führen zu noch mehr Aufwand.
«Abläufe werden laufend automatisiert»
«Nicht zuletzt dank verbesserten digitalen Systemen und Vernetzungen werden die administrativen Abläufe laufend erleichtert und automatisiert», führt zwar Insel-Sprecher Adrian Grob ins Feld.
Doch ist es das, was das Personal braucht? «Ja, es ist praktisch, wenn die Apparate mit dem Computer verbunden sind und die Verläufe genauso wie die Medikamentengaben automatisch aufgezeichnet werden. Wir müssen viel weniger manuell eintragen als früher», räumt eine Intensivpflegefachfrau auf Nachfrage von Medinside ein.
Keine Studien, keine Patiententagebücher
Nur: Das war schon vor Corona so. Viel mehr schätzt die Pflegefachfrau, dass sie derzeit keine Aufzeichnungen mehr für Studien machen muss und dass die Einträge für die Patiententagebücher der Intensivpflegestation von anderem Personal erledigt werden.
Für sie ebenfalls ein grosse Entlastung ist der Computer neben dem Patientenbett - keine Corona-Massnahme, aber eine Zeitersparnis. «Ich bin immer auf dem Laufenden und sehe, was passiert. Das ist sehr effizient Ins Büro gehe ich kaum mehr.»
Manche wollen ab und zu ins Büro
Gleichzeitig ist sie sich bewusst, dass das nicht alle Kollegen und Kolleginnen gleich schätzen: «Manche wollen bewusst auch einmal die Türe hinter sich zutun können.»
Überhaupt ist die Entlastung von Administrativaufgaben für sie ein zweischneidiges Schwert: «Ich fände es falsch, wenn wir nichts mehr registrieren und administrieren würden. Das kann es ja auch nicht sein.»
Die guten Lösungen gibt es
Deshalb dürfte die Forderung des VSAO ein vernünftiger Weg sein: Im Nachgang der Krise müsste gezeigt werden, wo punkto weniger Bürokratie positive Erfahrungen gemacht wurden, was beibehalten und weiter verbreitet werden könnte. «Der VSAO erwartet von den Spitälern, dass sie sich diesem Thema dann wieder mehr widmen – denn an guten Lösungen mangelt es nicht», sagt Marti.
Solche gute Lösungen hat der Verband
hier anhand von Beispielen aus Spitälern - unter anderem dem Hôpital du Jura, dem Spital Thun und dem Spital Thusis - aufgeführt.