Betäubt mit Virtual Reality: Bald sehen viele Patienten wohl so aus

Computerspiele helfen gegen Schmerzen – dies bestätigt eine weitere Studie. Ärzte könnten bald schon Elektronikbrillen statt Medikamente verschreiben.

, 13. April 2016 um 09:00
image
  • trends
  • anästhesie
  • medikamente
Nun ist die Virtual-Reality-Brille Oculus Rift auf dem Markt, ja, es gibt bereits erste Occasions-Modelle, zu ersteigern der Preisgegend von 500 Franken
Was das mit dem Gesundheitswesen zu tun hat? Vielleicht allerhand.
Denn bekanntlich sind unsere Schmerzen – akut wie chronisch – psychologisch gesteuert und stark von der Ablenkung geprägt. In einem interessanten Meinungsbeitrag betont nun Edmund Keogh, ein Psychologieprofessor der University of Bath, auf einen wichtigen Aspekt: nämlich dass sich durch die Fortschritte in der Computergrafik massive Chancen eröffnen im therapeutischen Bereich – und dass wir dabei erst am Anfang stehen.
Die Idee: Grundsätzlich könnte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis sich Patienten in der Zahnarztpraxis oder im Ambulatorium intensiv ablenken mit der Virtual-Reality-Brille auf dem Kopf – und dass beide, Arzt wie Patient, vom analgetischen Potential des Geräts profitieren. 

Tendeziell ist die Sache klar

Die konkrete Wirkung von Game-Ablenkungen ist zwar kaum erforscht. Aber in der Tendenz scheint klar, dass sie in einem erheblichen Ausmass besteht und bei akuten Schmerzen eingesetzt werden kann (ein Überblick, Stand Ende 2014, findet sich hierhier; siehe auch hier). Und dass Ablenkung insbesondere in der Pädiatrie ein ebenso probates wie gern eingesetztes Mittel ist, wurde auch schon wissenschaftlich untermauert.
Jetzt geht es also darum, dass die Medizin die neuen Technologien gezielter einsetzt fürs Schmerz-Management. Denn hier steht die Branche erst am Anfang. Konkret ging dieser Frage jetzt eine kleiner Test nach, durchgeführt an der St. John University in York, England. Was ist es, was die Menschen vom Schmerz ablenkt – ist es der visuelle Effekt? Sind es die Geräusche? Das Tastgefühl? 

Sarah Johnson, Matthew Coxon: «Sound can enhance the analgesic effect of virtual reality», «Royal Society Open Science», 30. März 2016.

Dies testesten zwei britische Psychologen, Sarah Johnson und Matthew Coxon, mit 27 Freiwilligen: Sie liessen die Testpersonen eine Hand ins eiskalte Wasser legen – bis an die Schmerzgrenze –, während diese zugleich ein Spiel in der virtuellen Realität spielen mussten. Konkret ging es darum, in einer futuristischen Welt einen Hindernis-Parcours durchlaufen. Dann wurden diverse sensorische Aspekte des Game gefiltert: Geräusche, Musik und deren Lautstärke, Bilder, Bewegung.

Wer die Realität gestaltet, gestaltet auch den Schmerz

Die höchste Schmerztoleranz liess sich festmachen, wenn sowohl die visuellen wie die akustischen Inputs zusammenkamen: Wer spielte und zugleich mit Geräuschen beschallt wurde, verspürte am wenigsten Schmerz – ein Ergebnis, das nicht weiter überraschend erscheint. Auf der anderen Seite genügte auch die Musik alleine sowie das stehende Bild, um die Schmerztoleranz schon deutlich zu erhöhen.
Greifbar wurde, dass mit einer innovativen Gestaltung der Realität auch das Schmerzempfinden manipuliert werden konnte. Edmund Keogh nimmt die Ergebnisse denn auch zum Anlass, um auf die Chancen der Virtual Reality im Schmerzmanagement zu verweisen: Die wissenschaftliche Aufgabe sei nun, die idealen Kombinationen zu finden. Töne können Schmerzen bekämpfen – aber welche genau? Nicht überprüft wurden im Test von Johnson und Coxon weitere Aspekte, die ebenfalls ablenken und den Scherz dämpfen können, etwa Gerüche und Berührungen.

«Aus Sicht der Forschung sehr aufregend»

Mehrere Studien zeigten jedenfalls bislang, dass die technologische Qualität – bis hin zur Grösse des Virtual-Reality-Helms beziehungsweise des Gesichtfeldes – relativ direkt korreliert mit dem Schmerzempfinden. Also: Je perfekter die elektronische Gegenwelt, desto besser kann der Patient mit Schmerz umgehen (mehr dazu etwa hier).
Was sich also abzeichnet, sind Möglichkeiten, durch die virtuelle Ablenkung relativ direkt akute und chronische Schmerzen zu bekämpfen. «Aus Sicht der Forschung ist dies alles sehr aufregend», so Keogh: «Es sieht so aus, dass wir immer besser werden darin, den Schmerz mit Techniken wie der Virtual Reality anzugehen. Zudem helfen uns die Techniken selber, die multisensorische Erfahrung des Schmerzes besser zu verstehen.»
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Das werden die 10 Umsatz-Hits bei den Medikamenten

Krebsmedikamente werden auch dieses Jahr die Umsatz-Statistik anführen. Das prognostiziert die Plattform Statista.

image

Bürgerspital Solothurn: Erst kaltgestellt, jetzt mit Lob überhäuft

Die SoH-Gruppe vermeldet nun offiziell die Trennung von Ingo Bergmann. Der Chefarzt Anästhesie und Intensivmedizin verlasse das Bürgerspital, «um sich einer neuen beruflichen Herausforderung zu stellen».

image

Seltene Krankheiten: Mehr Zulassungen, aber wenig Zusatznutzen bei Orphan Drugs

Über die Hälfte der neuen Medikamente bieten keinen echten Fortschritt. Und kaum je schaffen sie neue Lösungen für seltene Erkrankungen ohne Behandlungsmöglichkeiten.

image

RHNe: Neuer Leiter der Abteilung für Anästhesiologie

Christopher Sulzer, der zum Leiter der Abteilung für Anästhesiologie des Neuenburger Spitalnetzes ernannt wurde, wird im Februar 2025 die Nachfolge von Alexandre Schweizer antreten.

image

Ärzte bei Pregabalin-Abgabe in der Zwickmühle

In Gefängnissen und Asylzentren gibt es immer mehr Missbrauch des Medikaments Pregabalin. Ärzte stehen vor einem Dilemma.

image

Medikamentenpreise sind gesunken – angeblich

Mieten und Strom sind in der Schweiz teurer geworden. Doch Medikamente sind billiger als vor Jahresfrist. Kann das stimmen?

Vom gleichen Autor

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.