Bei Corona werden nur noch die Todesfälle gesehen

Entscheidungen würden derzeit ohne die Frage nach «Nutzen und Kosten» gefällt. Dies sagt kein Gesundheitsökonom, sondern der bekannte Infektiologe Pietro Vernazza.

, 28. April 2020 um 06:34
image
  • coronavirus
  • infektiologie
  • spital
  • kantonsspital st. gallen
Dass die Entscheidungsträger bei Corona nur noch die Todesfälle sehen, aber die Massnahmen keiner «Kosten-Nutzenabwägung» unterstellen, überrascht Pietro Vernazza. Dies sagt der bekannte Infektiologe in einem grossen Interview mit den Zeitungen von CH Media.
Der Aufwand für ein Jahr Lebensverlängerung sei bei Corona in der Grössenordnung von 10 Millionen Franken. Doch wenn man bei ganz teuren Medikamenten für ein Lebensjahr eine halbe Million bezahlen sollte, dann gebe es sonst hitzige Mediendebatten.

Massnahmen für die Restaurants «nicht evidenzbasiert»

Die Diskussion über das Coronavirus basiert in der Schweiz generell zu stark auf Meinungen und Glauben, wie der Chefarzt am Kantonsspital St. Gallen (KSSG) sagt. Es gebe derzeit viele Bauchentscheide, die Fachkompetenz mit fundierten wissenschaftlichen Hintergrund sei nicht gefragt. Auch jene der Ökonomen. 
Es werden laut Vernazza jetzt sehr viele, auch vergleichsweise teure Massnahmen beschlossen, ohne dass wir wirklich Anhaltspunkte haben, dass sie wirken. Er nennt und erklärt im Interview auch das Beispiel der Schutzmasken. Und auch die Massnahmen für die Restaurants seien «nicht evidenzbasiert».

«Das Virus ist für die meisten harmlos»

Der Lockdown habe die Spitäler vor Überlastung geschützt. «Das hat mehr als funktioniert», sagt er weiter. Nun gehe es aber darum, neue wissenschaftliche Erkenntnisse sofort wieder in Massnahmen umzusetzen: So hätten die Schulen am 19. April nach den Ferien wieder geöffnet werden sollen.
Das Hauptproblem sei, dass Sars-Cov-2 als sehr gefährliches Virus wahrgenommen werde. Doch das Virus sei für die meisten harmlos. Trotzdem könne die Krankheit schwer oder gar tödlich verlaufen. Dass junge Leute sterben, erlebt der bekannte Ostschweizer Infektiologe im medizinischen Alltag aber jedes Jahr auch bei der Grippe.

«So wie das Schweden macht»

Der Chefarzt der Klinik für Infektiologie am Kantonsspital St. Gallen (KSSG) hätte eher eine Strategie gewählt, bei der wir gefährdete Personen besonders schützen, die Spitäler nicht überlasten, aber grundsätzlich die Krankheit und den Aufbau einer Immunität in der Bevölkerung zulassen, wie Vernazza weiter sagt. So wie das Schweden mache.

  • Lesen Sie hier das ganze Interview mit Pietro Vernazza. 
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Neuer Leistungsauftrag für die Oberwaid

Die Klinik Oberwaid ist neu auch mit muskuloskelettaler Rehabilitation auf der Spitalliste der Kantone St. Gallen, Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden. So kann die Oberwaid auch in diesem Fachgebiet grundversicherte Patienten behandeln und leistet einen wichtigen Beitrag in der Region.

image

Zurück in die Vergangenheit: Spitäler wollen Geld vom Kanton

An sich sollten die Kantone ihre Spitäler nicht mehr finanzieren. Doch immer häufiger zahlen die Regierungen trotzdem – und verzerren möglicherweise den Wettbewerb.

image

Luzerner Kantonsspital braucht wohl bald Geld

Die Höhenklinik des Spitals machte 180'000 Franken Verlust - pro Monat. Die Kantonsregierung rechnet damit, dass das Kantonsspital Hilfe braucht.

image

Spital Samedan gehört bald zum Kantonsspital Graubünden

Dadurch werden wohl einzelne Stellen neu ausgerichtet oder aufgehoben. Andererseits dürften in den medizinischen Bereichen rund 20 zusätzliche Stellen entstehen.

image

CHUV: Aus Spenderstuhl wird Medizin

Das Universitätsspital Lausanne ist das erste Schweizer Spital mit Swissmedic-Zulassung zur Herstellung eines Medikaments aus Fäkalbakterien.

image

100 Millionen Franken? Danke, nicht nötig.

Der Kanton Graubünden plante einen Rettungsschirm für notleidende Spitäler und Gesundheits-Institutionen. Die Idee kam schlecht an.

Vom gleichen Autor

image

Arzthaftung: Bundesgericht weist Millionenklage einer Patientin ab

Bei einer Patientin traten nach einer Darmspiegelung unerwartet schwere Komplikationen auf. Das Bundesgericht stellt nun klar: Die Ärztin aus dem Kanton Aargau kann sich auf die «hypothetische Einwilligung» der Patientin berufen.

image

Studie zeigt geringen Einfluss von Wettbewerb auf chirurgische Ergebnisse

Neue Studie aus den USA wirft Fragen auf: Wettbewerb allein garantiert keine besseren Operationsergebnisse.

image

Warum im Medizinstudium viel Empathie verloren geht

Während der Ausbildung nimmt das Einfühlungsvermögen von angehenden Ärztinnen und Ärzten tendenziell ab: Das besagt eine neue Studie.