Ein Herzinfarkt ist nicht dasselbe, wenn ihn ein Mann erleidet, wie wenn eine Frau davon betroffen ist. Genauso ist es mit Osteoporose oder generell mit der Wirkung von Medikamenten. Das Geschlecht hat einen grossen Einfluss auf ärztliche Diagnosen und auf Therapien. Oder sollte es haben. Denn Mann und Frau sind unterschiedlich krank. Das zeigen immer mehr Fachpublikationen.
Geschlechtsspezifische Medizin ist ein neuer Ansatz
Dennoch fliessen diese wichtigen Unterschiede nur langsam in die Behandlung von Patientinnen und Patienten ein. Die beiden Universitäten Bern und Zürich wollen die geschlechtsspezifische Medizin voranbringen. Sie bieten deshalb ab Mai 2020 gemeinsam einen Weiterbildungsstudiengang in Gendermedizin an.
Der Studiengang sei in dieser Form europaweit einzigartig, sagt Daniel Candinas, Vizerektor Forschung der Universität Bern und Klinikdirektor der Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin am Inselspital Bern.
Beispiel Herzinfarkt
Herzinfarkte sind immer noch eine «typische Männerkrankheit». Doch Herzinfarkte bei Frauen gibt es auch. Nur rufen sie häufig andere Symptome hervor. Mit schlimmen Folgen: «Herzinfarkte bei Frauen werden oft nicht richtig erkannt, und es vergeht wertvolle Zeit, bis medizinischen Hilfe in Anspruch genommen wird», sagt Cathérine Gebhard, Kardiologin am Zürcher Universitätsspital und Vorsitzende der Programmleitung des neuen Lehrgangs.
Es gibt auch den umgekehrten Fall: Bei «typischen Frauenkrankheiten» wie etwa der Osteoporose ist der Mann das unter-, beziehungsweise fehlversorgte Geschlecht. Auch bei der Wirkung von Medikamenten gibt es wesentliche Unterschiede: Wirkstoffe werden im weiblichen Körper häufig langsamer abgebaut. Dennoch sind Frauen in Arzneimittelstudien nach wie vor unterrepräsentiert.
Andere Normalwerte
Die meisten medizinischen Normalwerte sind auf Männer «geeicht». Es ist aber erwiesen, dass zum Beispiel das Herz je nach Geschlecht unterschiedlich altert: Das männliche Herz wird im Alter grösser, das Frauenherz hingegen verkleinert sich und pumpt stärker. Entsprechend sollten die Normalwerte für die Herzfunktion alters- und geschlechtsspezifisch angepasst werden.