Umstrittene Zahlungen: Ärzte und Spitäler erhalten immer mehr Geld von Pharmafirmen

In den letzten vier Jahren flossen 639 Millionen Franken - Tendenz steigend.

, 22. November 2019 um 09:21
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Es sind umstrittene Geldüberweisungen. 181 Millionen Franken zahlten Pharmaunternehmen 2018 an Schweizer Ärzte, medizinische Fachpersonen, an Spitäler und andere Gesundheitsanbieter. Gegenüber 2016 stiegen die bezahlten Leistungen um fast ein Drittel, wie der «Beobachter» schreibt.
Innert vier Jahren flossen so bemerkenswerte 639 Millionen Franken. So erhielten die Ärztinnen und Ärzte unter anderem Kongressgebühren, Beratungshonorare, Reisegelder und Vortragshonorare bezahlt. An die Institutionen wurden gemäss dem Artikel unter anderem Weiterbildungen und Forschung bezahlt.

Zwölf Ärzte verdienten über 100'000 Franken dazu

Ein einziger Krebsspezialisten erhielt in den letzten vier Jahren fast 400'000 Franken. Es handelt sich um den Zürcher Onkologen Rolf A. Stahel. Allein 2018 verdiente er über 140'000 Franken dazu. Insgesamt strichen in der Schweiz zwölf Ärzte, elf davon Professoren, gemäss dem «Beobachter» seit 2015 über 100'000 Franken ein. 
Manche erhielten etwa für ein einziges Referat über 8000 Franken - ein exorbitantes Salär.

Umstrittene Zahlungen

Die Bezahlungen der Pharmabranche sind deshalb heikel, weil sie die Unabhängigkeit der Medizin gefährden können - also ein Korruptionsrisiko sind. So hat die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) in ihren Richtlinien nach der Jahrtausendwende neue Bestimmungen für die Anerkennung von Weiterbildungsveranstaltungen festgeschrieben. 
Sie schreibt darin einleitend: 
Die Zusammenarbeit von Ärztinnen und Ärzten mit der Industrie ist seit langem etabliert. Sie liegt grundsätzlich im Interesse einer guten Gesundheitsversorgung und trägt vielfach zu einer Mehrung des Wissens bei. Diese Zusammenarbeit kann Interessenkonflikte und Abhängigkeiten mit sich bringen oder in Ausnahmefällen zu Konflikten mit dem Gesetz führen.
Interessenkonflikte können materieller, psychologischer oder sozialer Natur sein. Sie sind nicht eine Folge eines bestimmten Handelns oder Unterlassens. Es ist dabei auch nicht entscheidend, ob sich eine Person in einer bestimmten Situation beeinflusst fühlt. 
Für Fortbildungsveranstaltungen hat die SAMW deshalb folgende Regeln erlassen:
  1. Den Antrag auf Anerkennung einer Fortbildungsveranstaltung bei den zuständigen Organen (Fachgesellschaften, kantonale Ärztegesellschaften, SIWF) stellen die veranstaltenden Ärzte oder die ärztlichen Fachgremien.
  2. Fortbildungsveranstaltungen werden nur anerkannt, wenn Inhalt und Ablauf durch Ärzte bzw. ärztliche Fachgremien bestimmt oder entscheidend mitbestimmt werden. 
  3. Die Möglichkeiten der Prävention, Diagnose und Therapie werden grundsätzlich nach den Kriterien der evidenz-basierten Medizin (EBM) und unter Berücksichtigung ihrer Wirtschaftlichkeit dargestellt. 
  4. Stehen für die besprochene Prävention, Diagnose oder Therapie mehrere wirksame Arzneimittel, Medizinprodukte oder Verfahren zur Verfügung, so ist ein objektiver Vergleich anzustreben.
  5. Finanzielle Mittel aus dem Sponsoring werden auf ein dafür bestimmtes Konto des Veranstalters (Universität, Institution, Stiftung, Fachgesellschaft, regionale Ärztevereinigung usw.) verbucht und für die Organisation von Fortbildungsveranstaltungen, Honorierung der Referenten und deren Spesen verwendet.
  6. Die an Fortbildungsveranstaltungen als Zuhörer (d.h. ohne Präsentation, Poster, Referat, Sitzungsleitung o.ä.) teilnehmenden Ärzte leisten eine angemessene Kostenbeteiligung.
  7.  Referenten und Organisatoren legen allfällige persönliche oder institutionelle kommerzielle Interessen, finanzielle Verbindungen zum Sponsor, Beratertätigkeit im Auftrag des Sponsors oder Forschungsunterstützung durch den Sponsor offen. Referentenhonorare sollen angemessen sein.
  8. Schaffen Medizinische Fakultäten bzw. deren Universitäten eine Lehr- und/ oder Forschungsstelle (Professur), die durch Unternehmen oder andere Drittmittel finanziert wird, so bestimmen sie schriftlich die Rahmenbedingungen dafür. 
  9.  Die Medizinischen Fakultäten sorgen dafür, dass unangemessene Interaktionen zwischen Medizinstudierenden und Industrie-Unternehmen unterbleiben. 
  10. Die Kaderärzte von Spitälern achten darauf, dass Kontakte von Industrievertretern mit Spitalpersonal in einem institutionellen Rahmen statt.

Regeln werden umgangen

Wie der «Beobachter» schreibt, werden diese Regeln aber teilweise unterlaufen. Dies etwa, indem eine Veranstaltung zwar von einer einzigen Pharmafirma organisiert wird, zur Wahrung des Scheins der Unabhängigkeit aber eine Kleinfirma als Mitveranstalterin an Bord geholt wird.
Wie problematisch Zahlungen von Pharmafirmen sein können, zeigt auch die Tatsache dass das Heilmittelgesetz deswegen eben angepasst werden musst. So ist nun etwa die Annahme von Geschenke von Pharmaunternehmen ohne Bezug zur Arztpraxis explizit verboten.

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