Long Covid: USZ und Uni Zürich bringen mehr Licht ins Dunkel

Ein Immunologen-Team deutet auf das so genannte Komplementsystem hin: Ein Teil des Immunsystems bleibt nach der Covid-Infektion überaktiv.

, 18. Januar 2024 um 19:17
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Forschende der Uni Zürich und des USZ haben neue Hinweise hinsichtlich der Entstehung von Long Covid gefunden. | Bild: Universität Zürich; Ursula Meisser
Die Schätzungen, wie viele Menschen in der Schweiz von Long Covid betroffen sind, gehen weit auseinander – sie reichen von 70’000 bis 300’000. Viele Betroffene leiden an chronischen Symptomen wie Müdigkeit oder Atemnot. Dabei sind weder die exakten Gründe und Krankheitsmechanismen von Long Covid bekannt, noch gibt es diagnostische Tests oder gezielte Behandlungen.
Ein Team der Universität Zürich und des Universitätsspitals Zürich hat nun herausgefunden, dass das Komplementsystem mitverantwortlich für die Symptome sein könnte; also ein Teil unserer Immunabwehr.
Wie es in einer Mitteilung der Universität Zürich heisst, hat die Immunologen- und Bioinformatiker-Gruppe ein Muster in den Blutproteinen identifiziert, um Long Covid besser zu diagnostizieren und vielleicht auch gezielter zu behandeln.

Komplementsystem

Geleitet wurde das Team von Onur Boyman, Immunologieprofessor an der Universität Zürich und Direktor der Klinik für Immunologie am USZ; es zeigt in der Studie, dass das Komplementsystem bei der Long-Covid-Erkrankung eine wichtige Rolle spielt. Es geht um einen Teil des angeborenen Immunsystems, das normalerweise hilft, Infektionen zu bekämpfen sowie beschädigte und infizierte Körperzellen zu beseitigen. Die Arbeit wurde nun in «Science» veröffentlicht.
«Bei Patientinnen und Patienten mit Long Covid kehrt das Komplementsystem nicht mehr in den Ruhezustand zurück, sondern bleibt aktiviert und schädigt so auch gesunde Körperzellen», sagt Boyman.

Vorgehen:

Die Forschenden begleiteten 113 Covid-19-Patientinnen und Patienten bis ein Jahr nach ihrer akuten Coronavirus-Infektion und verglichen sie mit 39 gesunden Kontrollpersonen. Nach sechs Monaten hatten 40 Betroffene immer noch Long-Covid-Beschwerden. Analysiert wurden mehr als 6‘500 Proteine im Blut der Studienteilnehmenden sowohl während der akuten Erkrankung als auch sechs Monate später.
«Die Analysen dazu, welche Proteine bei Long Covid verändert sind, bestätigten die ungebremste Aktivität des Komplementsystems. Patienten mit aktiver Long-Covid Krankheit hatten zudem erhöhte Blutwerte für Schäden an verschiedenen Körperzellen einschliesslich roter Blutkörperchen, Blutplättchen und Blutgefässen», erklärt Carlo Cervia-Hasler, Postdoktorand in Boymans Team und Erstautor der Studie.

Bioinformatik erkennt Proteinmuster

Die messbaren Veränderungen der Blutproteine bei aktivem Long Covid deuten auf ein Zusammenspiel von Proteinen des Komplementsystems hin, die an der Blutgerinnung und der Reparatur von Gewebeschäden sowie an Entzündungen beteiligt sind.
Bei Long-Covid-Patienten, die sich innerhalb von sechs Monaten von ihrer Erkrankung erholten, waren die Blutwerte hingegen normal. Aktives Long Covid zeigt sich somit anhand des Proteinmusters im Blut. Entdeckt wurden die Blutmarker mit Hilfe von bioinformatischen Verfahren in Zusammenarbeit mit Karsten Borgwardt während seiner Zeit als Professor an der ETH Zürich.
Onur Boyman zeigt sich hoffnungsvoll: «Unsere Arbeit legt nicht nur die Grundlage für bessere Diagnosen, sondern unterstützt auch die klinische Forschung zu Substanzen, mit denen das Komplementsystem beeinflusst werden kann. Dies eröffnet neue Wege, um gezieltere Therapien für Long-Covid-Betroffene zu entwickeln».
  • Carlo Cervia-Hasler, Sarah C. Brüningk, Tobias Hoch, Bowen Fan, Giulia Muzio – Onur Boyman et al.: «Persistent complement dysregulation with signs of thromboinflammation in active Long Covid», in: «Science», Januar 2024.
  • doi: 10.1126/science.adg7942



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