Wo sieht man, dass jemand einen zu hohen Blutdruck hat? In der elektronischen Patientenakte – sofern man dort die richtigen Hinweise erkennt.
Dies ein Fazit, das sich aus einer Studie ziehen liesse, die ein Team des Mass General Brigham Hospital und der Harvard University erarbeitet hat. Es setzte ein KI-Programm ein, um die Gesundheitsakten von Patientinnen und Patienten zu durchforschen. Dabei sollte die KI insbesondere in den Ultraschall-Bildern nach Anzeichen für eine Verdickung des Herzmuskels fahnden, also nach einer hypertrophen Kardiomyopathie, HCM. Denn diese ist ein häufiges Anzeichen von Bluthochdruck.
Am Ende fanden sich 648 Patienten mit diesem Befund; es waren Patienten, bei denen allerdings keine Herzerkrankung oder Blutdruckbehandlung dokumentiert war.
Die Hälfte dieser Personen erhielt nun eine Intervention: Die jeweiligen Hausärzte wurden über die Befunde informiert, und sie erhielten Unterstützung und Empfehlungen, beispielsweise ein 24-Stunden-Blutdruck-Monitoring oder eine kardiologische Untersuchung. In der gleich grossen Kontrollgruppe blieb die Versorgung unverändert.
Am Ende des 12monatigen Beobachtungszeitraums wurden in der ersten Gruppe – der Interventionsgruppe – fast viermal so oft neue Hypertonie-Diagnosen gestellt (15,6 Prozent vs. 4,0 Prozent). Häufiger verschrieben die Hausärzte auch entsprechende Medikamente (16,3 vs. 5,0 Prozent). Die Zahl der Arztbesuche unterschied sich dabei kaum zwischen den Gruppen.
Dabei reagierte die Mehrheit der Hausärzte positiv auf die Hinweise – was ahnen lässt, dass solch ein Ansatz wohl gut aufgenommen würde.
Das Ziel hinter der Arbeit ist offensichtlich: Durch eine gezieltere und KI-gestützte Durchforstung von Patientendossiers liessen sich stille Erkrankungen wie Hypertonie oft früher erkennen und behandeln. «Diese Arbeit unterstreicht den potenziellen Nutzen der Auswertung bereits vorhandener, aber möglicherweise nicht ausreichend genutzter kardiovaskulärer Daten zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung durch Mechanismen, die das traditionelle ambulante Versorgungssystem ergänzen», schreiben die Autoren in ihrer «Conclusion».
Flimmerwarnung per Smartphone
Eine ähnliche Schlussfolgerung lässt sich aus einer zweiten Studie ziehen, die ebenfalls Ende März erschienen ist: Eine Untersuchung des Paris Cardiovascular Research Centre PARCC zeigte, wie KI das Risiko von Herzrhythmusstörungen früh erkennen und kurzfristig vorhersagen könnte.
Die ventrikuläre Tachykardie (VT) tritt meist bei Menschen auf, die bereits eine andere Herzerkrankung haben und oft auch schon in Behandlung sind. Aber was lässt sich dazu herauslesen?
Die Forscher in Paris analysierten mit einem Deep-Learning-Modell 247’000 Langzeit-EKG-Aufzeichnungen aus sechs Ländern. Die ersten 24 Stunden jeder Aufzeichnung dienten als Input, um zu prognostizieren, ob in den folgenden 13 Tagen eine Herzrhythmusstörung auftreten könnte.
Das Modell kombinierte verschiedene Datenquellen – demografische Angaben, Messwerte aus dem EKG, visuelle Rhythmusmuster – und erarbeitete daraus eine Risikobewertung.
Der Algorithmus errechnete also aus der Datenbasis neue Wahrscheinlichkeiten; und er erzielte in internen und externen Validierungen eine hohe Prognose-Qualität (AUROC) von 0,957 beziehungsweise 0,948. Bei einer festgelegten Spezifität von 97 Prozent erreichte die Sensitivität Werte bis 71 Prozent.
Besonders zuverlässig war das Modell bei schnellen VTs (≥180 bpm) und solchen, die in Kammerflimmern übergingen.
Doch wie liesse sich dies nun in den Alltag einfliessen? Das Team um den Kardiologen Laurent Fiorina sieht Chancen darin, solche Modelle in tragbare Geräte wie Smartwatches zu integrieren. Damit könnten dereinst gefährdete Personen rechtzeitig erkannt werden – ein Schritt hin zu einer personalisierten Prävention.