KI erkennt stille Herzrisiken – und warnt, bevor der Arzt es merkt

Ob Bluthochdruck oder Herzrhythmus-Störungen: Gleich zwei neue Studien zeigen, wie Künstliche Intelligenz vorhandene Patientendaten durchforsten kann – um Risikopatienten früh zu erkennen.

, 2. April 2025 um 09:40
letzte Aktualisierung: 2. Juni 2025 um 06:49
image
Bild: Natsuki / Unsplash
Wo sieht man, dass jemand einen zu hohen Blutdruck hat? In der elektronischen Patientenakte – sofern man dort die richtigen Hinweise erkennt.
Dies ein Fazit, das sich aus einer Studie ziehen liesse, die ein Team des Mass General Brigham Hospital und der Harvard University erarbeitet hat. Es setzte ein KI-Programm ein, um die Gesundheitsakten von Patientinnen und Patienten zu durchforschen. Dabei sollte die KI insbesondere in den Ultraschall-Bildern nach Anzeichen für eine Verdickung des Herzmuskels fahnden, also nach einer hypertrophen Kardiomyopathie, HCM. Denn diese ist ein häufiges Anzeichen von Bluthochdruck.
Am Ende fanden sich 648 Patienten mit diesem Befund; es waren Patienten, bei denen allerdings keine Herzerkrankung oder Blutdruckbehandlung dokumentiert war.
Die Hälfte dieser Personen erhielt nun eine Intervention: Die jeweiligen Hausärzte wurden über die Befunde informiert, und sie erhielten Unterstützung und Empfehlungen, beispielsweise ein 24-Stunden-Blutdruck-Monitoring oder eine kardiologische Untersuchung. In der gleich grossen Kontrollgruppe blieb die Versorgung unverändert.
  • Adam N. Berman, Michael K. Hidrue, Curtis Ginder, … James L. Januzzi, Jason H. Wasfy et al: «Leveraging Preexisting Cardiovascular Data to Improve the Detection and Treatment of Hypertension», März 2025.
  • DOI: 10.1001/jamacardio.2025.0871
Am Ende des 12monatigen Beobachtungszeitraums wurden in der ersten Gruppe – der Interventionsgruppe – fast viermal so oft neue Hypertonie-Diagnosen gestellt (15,6 Prozent vs. 4,0 Prozent). Häufiger verschrieben die Hausärzte auch entsprechende Medikamente (16,3 vs. 5,0 Prozent). Die Zahl der Arztbesuche unterschied sich dabei kaum zwischen den Gruppen.
Dabei reagierte die Mehrheit der Hausärzte positiv auf die Hinweise – was ahnen lässt, dass solch ein Ansatz wohl gut aufgenommen würde.
Das Ziel hinter der Arbeit ist offensichtlich: Durch eine gezieltere und KI-gestützte Durchforstung von Patientendossiers liessen sich stille Erkrankungen wie Hypertonie oft früher erkennen und behandeln. «Diese Arbeit unterstreicht den potenziellen Nutzen der Auswertung bereits vorhandener, aber möglicherweise nicht ausreichend genutzter kardiovaskulärer Daten zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung durch Mechanismen, die das traditionelle ambulante Versorgungssystem ergänzen», schreiben die Autoren in ihrer «Conclusion».

Flimmerwarnung per Smartphone

Eine ähnliche Schlussfolgerung lässt sich aus einer zweiten Studie ziehen, die ebenfalls Ende März erschienen ist: Eine Untersuchung des Paris Cardiovascular Research Centre PARCC zeigte, wie KI das Risiko von Herzrhythmusstörungen früh erkennen und kurzfristig vorhersagen könnte.
Die ventrikuläre Tachykardie (VT) tritt meist bei Menschen auf, die bereits eine andere Herzerkrankung haben und oft auch schon in Behandlung sind. Aber was lässt sich dazu herauslesen?
Die Forscher in Paris analysierten mit einem Deep-Learning-Modell 247’000 Langzeit-EKG-Aufzeichnungen aus sechs Ländern. Die ersten 24 Stunden jeder Aufzeichnung dienten als Input, um zu prognostizieren, ob in den folgenden 13 Tagen eine Herzrhythmusstörung auftreten könnte.
Das Modell kombinierte verschiedene Datenquellen – demografische Angaben, Messwerte aus dem EKG, visuelle Rhythmusmuster – und erarbeitete daraus eine Risikobewertung.
Der Algorithmus errechnete also aus der Datenbasis neue Wahrscheinlichkeiten; und er erzielte in internen und externen Validierungen eine hohe Prognose-Qualität (AUROC) von 0,957 beziehungsweise 0,948. Bei einer festgelegten Spezifität von 97 Prozent erreichte die Sensitivität Werte bis 71 Prozent.
Besonders zuverlässig war das Modell bei schnellen VTs (≥180 bpm) und solchen, die in Kammerflimmern übergingen.
Doch wie liesse sich dies nun in den Alltag einfliessen? Das Team um den Kardiologen Laurent Fiorina sieht Chancen darin, solche Modelle in tragbare Geräte wie Smartwatches zu integrieren. Damit könnten dereinst gefährdete Personen rechtzeitig erkannt werden – ein Schritt hin zu einer personalisierten Prävention.
  • digital & ki
Artikel teilen

Loading

Kommentar

Mehr zum Thema

image

Mit KI die Spitäler zukunftsfähig machen

KI-basierte Lösungen können die Dokumentationsarbeit im Spitalalltag erheblich unterstützen – zum Beispiel bei der Aufbereitung von Anamnesegesprächen.

image

Finanzkontrolle kritisiert Sicherheitslücken beim EPD

Das Bundesamt für Gesundheit muss beim elektronischen Patientendossier nachbessern: Nutzen, Kosten und Sicherheit bleiben unklar.

image

Neue KI-Plattform für Spitäler: Pilotprojekt am Kispi Zürich

Das Kinderspital Zürich startet gemeinsam mit den Technologieunternehmen Cisco, Zühlke, Netcloud und 44ai ein KI-Pilotprojekt. Ziel ist die Entwicklung eines Prototyps für automatisierte Arztberichte.

image

Ein starkes Duo: Wie KI und etablierte Scores Leben retten können

Sepsis bleibt eine der tückischsten Krankenhaus-Erkrankungen. Etwa 25 % der Todesfälle wären vermeidbar. Dedalus HealthCare kombiniert NEWS2 und Medical AI Sepsis zu einem zuverlässigen Alert für frühzeitige Erkennung und Intervention.

image

Auf dem richtigen Weg

Der Markt für Krankenhaus-Informationssysteme (KIS) befindet sich in einer Phase tiefgreifender Transformation. Die aktuellen Trends und Herausforderungen der Branche sowie die Erwartungen der Kliniken beleuchtet Dirk Müller, Director Product Management CIS4U bei Dedalus HealthCare.

image

EPD: Pflicht in Deutschland, Wunschdenken in der Schweiz

Arztpraxen und Spitäler in Deutschland müssen ab sofort Patientendaten in die elektronische Patientenakte eintragen. In der Schweiz kann man davon nur träumen.

Vom gleichen Autor

image

Diese 29 Erfindungen machen die Medizin smarter

Das US-Magazin «Time» kürte die wichtigsten Innovationen des Jahres aus dem Gesundheitswesen. Die Auswahl zeigt: Fortschritt in der Medizin bedeutet heute vor allem neue Schnittstellen zwischen Mensch, Maschine und Methode.

image

Privatklinik Aadorf: Führungswechsel nach 17 Jahren

Die Privatklinik Aadorf bekommt einen neuen Leiter: Michael Braunschweig tritt die Nachfolge von Stephan N. Trier an.

image

Baselbieter Kantonsparlament stützt UKBB

Das Universitäts-Kinderspital beider Basel soll frische Subventionen erhalten, um finanzielle Engpässe zu vermeiden. Der Entscheid im Landrat war deutlich. Doch es gibt auch Misstrauen.