In Dänemark können Ärzte Behandlungsfehler ohne Angst zugeben

Weil hohe Kosten drohen, schweigen Ärzte und Spitäler oft zu Behandlungsfehlern. Es ginge auch anders.

, 23. April 2025 um 07:36
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Statt eines zermürbenden Gerichtsverfahrens: Die Folgen von Arztfehlern oder seltenen Komplikationen werden in Dänemark vom Staat entschädigt. | Symbolbild: Lummi
Immer wieder müssen Gerichte darüber entscheiden, wer schuld daran ist, wenn Patienten beim Arzt oder im Spital einen Schaden erlitten haben. Solche Rechtsstreitigkeiten dauern oft Jahre, sind teuer, oft erfolglos. Und sie sind zermürbend für alle Betroffenen.
Die Frage ist: Sind Gerichtsverfahren der beste Weg, wenn in der Medizin etwas schiefgegangen ist? Ein «Arte»-Film zeigt, dass Dänemark eine bessere Lösungen hat. Dort hat man Wege gefunden, um den Betroffenen schnell zu helfen.
In Dänemark ist man nämlich zum Schluss gekommen, dass Arzthaftpflichtfälle so viele Nachteile haben, dass man sie besser abschafft und stattdessen eine staatliche Patientenentschädigung einführt.
Und so erhalten nun jedes Jahr rund 3'000 Patienten Geld, wenn bei einer Behandlung Fehler passiert sind, aber auch wenn seltene Komplikationen auftreten, an denen niemand schuld ist.

Offener Umgang mit Fehlern

«Das Geniale daran ist, dass ein Arzte einem Patienten ruhig raten kann, eine Entschädigung bei uns zu beantragen, wenn er einen Schaden sieht, den er selbst oder ein Kollege verursacht hat», sagt Karen-Inger Bast von der zuständigen Stelle: «Er muss nicht befürchten, dass eine Disziplinarverfahren eingeleitet wird.»
Die Gynäkologin Jeanett Strandbygaard vom Rigshospitalet in Kopenhagen erklärt, dass die Patientinnen meistens dankbar seien für die Ehrlichkeit, wenn sie ihnen sage, dass ein Teil der Operation nicht gut gelaufen sei. Es sei ganz normal für sie, Fehler zuzugeben und danach auch offen im Spital-Fehlermeldesystem über den Vorfall zu berichten. Niemand werde bestraft, man fühle sich dabei total sicher. «Es wäre doch verrückt, etwas nicht so melden.»
Risikomanager Mark Krasnik findet, dass Probleme bei der Patientensicherheit möglichst rasch behoben werden müssten. Ein Gerichtsverfahren sei viel zu langsam – und man könne meistens nachträglich keine Lehren mehr daraus ziehen. Er wertet am Rigshospitalet jährlich 4000 Fehlermeldungen aus.

Niemand hinterfragt die Arbeitsbedingungen

In anderen Ländern geht es bei den meisten Arzthaftungsprozessen nicht in erster Linie darum, die Ursachen der Fehler zu finden und diese zu beheben. Der deutsche Richter Tim Neelmeier bedauert, dass oft zu stark auf das individuelle Handeln von Ärzten und Pflegefachkräften geschaut werde und es keine Rolle spiele, ob es zum Beispiel aufgrund von Personalmangel, Arbeitsüberlastung oder Übermüdung zu einem Fehler gekommen ist.
«Diejenigen, die für die Arbeitsbedingungen verantwortlich sind, werden in den Prozessen fast nie zur Verantwortung gezogen», kritisiert er. Immer wieder zeigt sich aber auch in der Schweiz: Die Arbeitsbedingungen sind nicht nur ein Problem für Ärzte, sondern auch für die Patienten. «Wenn keine Einarbeitung erfolgt und einem niemand wirklich zur Seite steht, dann sind Fehler vorprogrammiert.»
Auf «20Minuten» berichtete jüngst eine junge Assistenzärztin von extremen Arbeitsbedingungen in einem Schweizer Spital. Sie erhielt nur einen Tag Einarbeitung und musste sofort eigenständig bis zu 18 Patienten betreuen.

Auch Frankreich reagiert schnell

In Frankreich gibt es seit 23 Jahren einen Härtefallfonds (ONIAM) für besonders schwer geschädigte Patienten. Der Fonds springt jedoch nur ein, wenn es sich um eine Komplikation ohne Arztfehler handelt. Ansonsten muss die Versicherung des Arztes zahlen. 2023 haben in Frankreich 1300 Patienten eine Entschädigung erhalten.

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