Frau Gyuriga Perez, was hat Sie bewogen, Pflegefachfrau zu werden?
Von Anfang an war es die menschliche Beziehung, die mich angezogen hat. Es gab eine soziale Dimension und den Wunsch, konkret nützlich zu sein. Mich faszinierte auch die Verbindung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und praktischer Anwendung – und dann natürlich die Teamarbeit.
Ihr Werdegang hat Sie weit vom Patientenbett weg geführt: Sie wurden die Pflegeverantwortliche des Kantons Waadt und damit die erste «Infirmière cantonale» der Schweiz.
Als ich 2022 mein Amt antrat, war dies in der Tat einzigartig in der Schweiz. Heute ziehen andere Kantone nach – Luzern hat eine kantonale Pflegefachfrau ernannt, das Wallis ist dabei, eine zu rekrutieren. Die Rolle, orientiert sich an Modellen, die von der WHO empfohlen sind; und sie ermöglicht es, auf einer strategischen und politischen Ebene zu handeln. In meinem Fall bin ich direkt der Gesundheitsdirektion unterstellt und arbeite an den Pflege- und Gesundheitsberufen insgesamt – mit Ausnahme der medizinischen Berufe. Es geht um die Entwicklung dieser Berufe, um den Mangel, um den Ausbildungsbedarf und die berufliche Autonomie.
Teresa Gyuriga Perez ist seit 2022 die kantonale Pflegeverantwortliche des Waadtlandes. Sie ist ausgebildete Pflegefachfrau und hat einen Master in strategischem Management von Gesundheitseinrichtungen. Sie war leitende Pflegefachfrau am Kinderspital des CHUV und Co-Präsidentin der Waadtländer Sektion des Berufsverbands SBK.
Was ist Ihrer Meinung nach das grösste Hindernis für den Beruf?
Der Personalmangel wird oft genannt, aber für mich liegt eine der Herausforderungen darin, dass die Kompetenzen der Pflege voll ausgeschöpft werden. Die Fachleute sind sehr gut ausgebildet, aber ihr Handlungsspielraum kann manchmal durch ein falsches Verständnis der Rolle und durch überholte Vorstellungen eingeschränkt werden. Solche hartnäckigen Stereotypen müssen aufgebrochen werden. Das Bild einer untergeordneten oder ausführenden Pflegerin gibt es nicht, aber es ist immer noch sehr präsent, auch im kollektiven Unbewussten.
Genau das werfen Sie dem Film «Heldin» vor, der eine überforderte, ja sogar hilflose Pflegefachfrau darstellt. Was halten Sie von diesem Porträt?
Das Spiel der Schauspielerin ist bemerkenswert, die Arbeit der Regisseurin ebenfalls, und einige Szenen sind realistisch: die Überlastung, die Müdigkeit, der Mangel an Unterstützung. Doch der Film vereinfacht die Realität. Er konzentriert alle möglichen Komplikationen auf eine Nacht, was der Glaubwürdigkeit schadet. Man sieht eine Pflegefachfrau, die leidet, rennt und zusammenbricht, während sie in der Wirklichkeit über klinische Fähigkeiten, ein eigenständiges Urteilsvermögen, die Fähigkeit zur Priorisierung, Deeskalation und Intervention verfügt. All dies wird nicht gezeigt.
Gibt es eine Szene, die Sie besonders gestört hat?
Ja – wo sie einem Arzt hinterherläuft, der ihr nicht zuhört. Solche Situationen können vorkommen, sind aber bei weitem nicht die Norm. In den meisten Fällen werden die Pflegefachleute gehört und angehört und arbeiten mit den Ärzten gemeinsam mit geteilter Verantwortung. Und wenn man jene andere Art von Interaktion als systematisch darstellt, nährt man das Klischee der abhängigen, in den Hintergrund gedrängten Arbeitskraft.
«Man sieht eine Pflegefachfrau, die erduldet, die rennt, die zusammenbricht, während sie in der Wirklichkeit über klinische Kompetenzen, ein eigenständiges Urteilsvermögen, die Fähigkeit, Prioritäten zu setzen, zu entschärfen und zu intervenieren, verfügt.»
Und wenn man es konkret betrachtet, sind einige der im Film gezeigten Aufgaben in anderen Berufen angesiedelt?
Exakt. Man sieht, wie die Pflegefachfrau sie Patientenbetten schiebt, grundlegende Handgriffe ausführt – das tun sie manchmal, aber das ist hauptsächlich Sache der Fachangestellten Gesundheit (FaGe). Umgekehrt zeigt man nicht ihre klinische Argumentation, ihre Analysefähigkeit, ihre Verantwortung für die therapeutische Erziehung oder die helfende Beziehung. In der Schweiz treffen Spitalpflegerinnen und -pfleger Entscheidungen, tragen die Verantwortung für die Sicherheit in der Betreuung und üben eine anerkannte Führungsrolle aus.
Ist das Ihrer Meinung nach eine Frage der künstlerischen Absicht?
Ohne Zweifel. Regisseurin Petra Volpe wollte schockieren, die Überlastung zeigen und Empathie hervorrufen. Aber man muss aufpassen, nicht das Bild der «armen Krankenschwester» zu verfestigen – schlecht bezahlt, überfordert, hilflos. Dies ist oft nicht die Realität, da das Pflegepersonal eine Führungsrolle ausübt. Doch solche Vorstellungen können junge Menschen vom Beruf abhalten, obwohl es sich um einen spannenden Beruf mit vielen Perspektiven und einem hohen Ausbildungsniveau handelt.
«Heldin» für die Schweiz im Oscar-Rennen
Das
Bundesamt für Kultur hat den Film «Heldin» von Petra Volpe bei der Academy of Motion Picture Arts and Sciences in Hollywood in der Kategorie «Bester internationaler Film» eingereicht. Eine erste Entscheidung wird im Dezember 2025 fallen, wenn die «Short List» der Nominierungen veröffentlicht wird.
Was müsste man zeigen, um für den Beruf zu inspirieren?
Man muss seine Autonomie, die Vielfalt der Rollen oder die tatsächliche Verantwortung zeigen. In den USA gibt es Serien, in denen Advanced Practice Nurses auftreten: Sie sind die Heldinnen, nicht die Ärzte. Und das macht Lust auf mehr. Auch in der Schweiz übernehmen Pflegefachleute Patientenverantwortung, sie leiten Abteilungen, sitzen in strategischen Ausschüssen, sind innovativ und treffen Entscheidungen.
Der Film zeigt auch sanftere Momente, etwa die Szene, wo die Heldin einer Demenzpatientin vorsingt. Sind solche Gesten in der Praxis wirklich angebracht?
Absolut. Es ist nicht banal – es ist eine Technik der helfenden Beziehung. Hände halten, ein bekanntes Lied singen, den Patienten sanft ansprechen – das sind therapeutische Interventionen, die auf spezifischem Wissen beruhen. Man kann nicht einfach aus Freundlichkeit eine Verbindung herstellen. Es handelt sich um berufliche Kompetenzen, die in der Ausbildung erworben werden und darauf abzielen, zu beruhigen, zu unterstützen und zu begleiten. Dies ist ein integraler Bestandteil der Pflegepraxis.
«In der Schweiz übernehmen Pflegefachleute Patientenverantwortung, sie leiten Abteilungen, sitzen in strategischen Ausschüssen, sind innovativ und treffen Entscheidungen.»
Aber ist das in einer Nacht wie der im Film gezeigten überhaupt noch möglich?
Genau das macht der Film spürbar: Wenn die Überlastung so gross ist, geht Raum für die Beziehung verloren. Und das ist ein grosser Verlust, denn die Beziehung ist Teil der Pflege. In der Realität kämpft die Pflege jedoch darum, diese Momente zu erhalten, selbst wenn es eilt. Das ist es, was dem Beruf Sinn verleiht.
Ein Wort an die Regisseurin?
Ich würde gern erfahren, wer ihre Berater zu beruflichen Fragen waren. Denn ihr Film ist zwar schön, aber er ist eine Momentaufnahme. Kein Dokumentarfilm. Er stellt eine kritische Nacht dar, nicht den Reichtum und die Komplexität der Pflege. Wenn man eine Situation anprangern will, läuft man Gefahr, den Beruf in ein reduziertes Bild zu pressen – und seine Entwicklung zu bremsen.