Fast jeder vierte Arzt verspürt massiv Selbstzweifel

Die «Perfektionismus-Kultur» in der Medizin müsse verändert werden. Dieser Ansicht sind Wissenschaftler um einen Medizinprofessor der renommierten Stanford Universität.

, 21. Februar 2023 um 06:00
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Gesundheitsorganisationen sollten die Botschaft vermitteln, dass die Arbeit nicht jeden anderen Aspekt des Lebens übertrumpfe. | Freepik
Haben Sie als Arzt oder Ärztin das Gefühl, Ihre Leistungen seien unzureichend und Ihre Erfolge eher dem Zufall als der persönlichen Leistung, dem Können oder der Fähigkeit zuzuschreiben? Wenn ja, dann sind Sie nicht allein. Denn fast jeder vierte Mediziner gibt an, mit dem sogenannten «Impostor-Phänomen» zu kämpfen. Dies geht aus einer kürzlich veröffentlichten Umfrage unter US-amerikanischen Ärzten hervor.
Von den über 3'000 befragten Ärztinnen und Ärzten gaben 23 Prozent an, «häufig oder intensiv» massive Selbstzweifel zu verspüren – trotz objektiver Kompetenz- und Leistungsnachweise. Das sind deutlich mehr als in anderen Berufsgattungen. Frauen und jüngere Ärztinnen und Ärzte sind davon besonders betroffen. Die Resultate variierten auch je nach Fachgebiet: Die höchsten Werte hatten Kinder- und Notärzte, während bei Augenärzten, Radiologen und Orthopäden dieses Phänomen weniger verbreitet zu sein scheint.
Hohe Werte korrelierten darüber hinaus mit Burnout und Suizidgedanken. Ähnliche Ergebnisse hatte auch eine frühere Umfrage unter US-amerikanischen Medizinstudierenden gezeigt.

Professionelle Hilfesuche sei keine Schwäche

Als Ursache geben die Studienautoren traditionelle Berufsnormen an: Es seien Gewohnheiten und Einstellungen, die während des Medizinstudiums und zu Beginn einer Karriere entwickelt würden und später in einer Karriere bestehen blieben. Diese würden suggerieren, dass Ärzte «übermenschlich» seien.
Eine solche «Perfektionismus-Kultur» in der Medizin müsse unbedingt geändert werden, schreiben die Wissenschaftler um Medizinprofessor Tait Shanafelt von der Stanford Universität. Denn sie verinnerliche die Überzeugung, dass Selbstfürsorge und persönliche Bedürfnisse aufgeschoben werden könnten.
Gesundheitsorganisationen oder Ausbildungsstätten sollten etwa Richtlinien in Betracht ziehen, die eine bessere Work-Life-Balance fördern, so die Lösungsvorschläge. Oder zumindest die Botschaft vermitteln, dass die Arbeit nicht jeden anderen Aspekt des Lebens übertrumpfe. Auch professionelle Hilfesuche sei keine Schwäche. Jungen Ärztinnen und Ärzten sollte schliesslich verdeutlicht werden, dass viele ihrer Vorbilder im Laufe ihrer Karriere ebenfalls herausfordernden Zeiten gegenüberstanden, obwohl darüber nicht gesprochen werde.

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