Berufsausübungs-Bewilligungen: Mit einem Fuss im Gefängnis?

Eine Spitex-Betreiberin wurde wegen mehrfachen Betrugs verurteilt, da sie unqualifiziertes Personal einsetzte und Leistungen unrechtmässig gegenüber der Krankenversicherung abrechnete. Der Fall verdeutlicht: Regulierungsverstösse haben ernste Konsequenzen.

Die Rechtsfrage der Woche, 7. August 2025 um 10:56
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Mirjam Olah und Daniel Staffelbach.
Gemäss Medienberichterstattung (NZZ-Artikel vom 28. Juli 2025) wurde die Betreiberin einer Spitex-Organisation im Kanton Zürich wegen mehrfachen Betruges verurteilt, weil sie systematisch Personal ohne die erforderliche Fachqualifikation einsetzte und deren Leistungen trotzdem gegenüber den Krankenkassen abrechnete.
Das Nichteinhalten regulatorischer Vorgaben stufen (Straf-)Behörden offensichtlich nicht als Bagatelle ein. Unternehmen, die sich nicht an die Spielregeln halten, riskieren sowohl existenzgefährdende gesundheitspolizeiliche und krankenversicherungsrechtliche Massnahmen als auch strafrechtliche Konsequenzen, die bis zu einer Freiheitsstrafe reichen können.
Angesichts des erwähnten Strafverfahrens – das keinen Einzelfall bildet – muss sich jeder die Frage stellen: Wie gefährdet bin ich denn?

Gesundheitspolizeiliche Anforderungen an Betriebe und deren Fachpersonal

Zur Gewährleistung der Versorgungsqualität sehen das Medizinalberufegesetz (MedBG) und das Gesundheitsberufegesetz (GesBG) schweizweit einheitliche Anforderungen an die Aus-, Weiter- und Fortbildung und die fachlich eigenverantwortliche Berufsausübung von Medizin- und Pflegefachpersonen vor. MedBG und GesBG statuieren dabei u.a. eine entsprechende Bewilligungspflicht und legen die Bewilligungsvoraussetzungen fest.
Die Autoren:
Mirjam Olah ist Rechtsanwältin mit Spezialgebiet Health Care & Life Sciences bei der Zürcher Anwaltskanzlei Walder Wyss. Sie berät zu regulatorischen Fragestellungen auf dem gesamten Gebiet des Gesundheitsrechts mit einem Fokus auf krankenversicherungsrechtlichen Themen und verfügt in ihrem Tätigkeitsbereich über weitreichende Erfahrung in der Vertretung von Klientinnen in Gerichtsverfahren und vor Verwaltungsbehörden. Daneben forscht und publiziert sie in ihrem Spezialgebiet.
Daniel Staffelbach ist Partner im Team für regulierte Märkte, Wettbewerb, Technologie und IP bei der Zürcher Anwaltskanzlei Walder Wyss. Er berät Klienten im Bereich Health Care & Life Science und Versicherungen, mit besonderem Augenmerk auf Vertrags- und Handelsrecht, öffentliches Recht sowie Arbeitsrecht.
Neben persönlichen Anforderungen – Vertrauenswürdigkeit sowie physische und psychische Eignung – und Sprachkompetenz, müssen insbesondere eidgenössische Aus- und Weiterbildungsabschlüsse oder anerkannte ausländische Abschlüsse vorliegen.
«Die Krux - Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen im ewigen Behördenrückstau»
Die Voraussetzungen und Modalitäten der Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen werden im MedBG und GesBG geregelt; zuständig für die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen wären dabei das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) bei den Pflegefachpersonen und die Medizinalberufekommission (MEBEKO) sowie das Schweizerische Institut für Weiter- und Fortbildung (SIWF) bei Ärztinnen und Ärzten.
Bei allen Anerkennungsinstanzen besteht allerdings seit Längerem ein notorischer Rückstau, der die Aufnahme der Berufstätigkeit in der Schweiz de facto verunmöglicht und damit die Wirtschaftsfreiheit der betroffenen Fachpersonen verletzt. Das behördliche Verhalten bewegt sich dabei zudem zwischen einem Verstoss gegen das Rechtsverzögerungs- und Rechtsverweigerungsverbot; betreffend EU-Berufsqualifikationen steht dieses auch mit dem übergeordneten Völkerrecht in Widerspruch.
Für die Erteilung der Berufsausübungsbewilligungen und die Aufsicht sind die Kantone zuständig. Diese strengen Voraussetzungen gelten für die Tätigkeit von Medizin- und Pflegefachpersonen in eigener fachlicher Verantwortung – unabhängig des Anstellungsverhältnisses.
Für die Regelung der Berufsausübung unter fachlicher Verantwortung sind die Kantone zuständig; dementsprechend variiert die Rechtslage von Kanton zu Kanton. Im Allgemeinen bestehen dabei die folgenden Regelungsansätze:
  • Die Fachperson, welche die fachverantwortliche Aufsicht übernimmt, muss über eine Berufsausübungsbewilligung verfügen.
  • Die unter fachlicher Aufsicht stehenden Personen müssen mindestens ihrer Tätigkeit entsprechend fachlich ausgebildet sein – teils müssen sie allerdings auch über dieselbe Ausbildung verfügen wie fachlich eigenverantwortlich Tätige.
  • Grundsätzlich ist die Berufsausübung unter fachlicher Verantwortung für die unter fachlicher Aufsicht stehende Person bewilligungsfrei.

Bewilligungen von Spitex Betrieben

Aus aktuellem Anlass des Strafurteils wollen wir uns auf die Spitex Betriebe konzentrieren. In Bezug auf (Fach-)Personal, das unter fachlicher Aufsicht tätig wird, besteht bei der Reglementierung der Berufsausübung Spielraum. Wie dieser angesichts der Anforderungen an die Organisation von Spitex-Institutionen als Betriebe im Gesundheitswesen ausgestaltet ist, richtet sich nach den entsprechenden Vorgaben im Zusammenhang mit der Betriebsbewilligung: Für den Betrieb einer Spitex-Organisation bedarf es in der Regel einer kantonalen Betriebsbewilligung. Dabei bestimmen die Kantone, welche Voraussetzungen für deren Erteilung gegeben sein müssen.
  • Die Institutionen müssen dabei grundsätzlich folgende Basisanforderungen erfüllen:
  • Die Einrichtung muss den angebotenen Leistungen entsprechen (sachliche Infrastruktur),
  • Das für eine fachgerechte Versorgung der Patientinnen und Patienten notwendige Personal muss bereitgestellt werden (personelle Infrastruktur), und
  • Es muss eine (fach-)verantwortliche Leitung bestehen.
Darüber hinaus sind weitere Qualitätssicherheitsmassnahmen und konzeptuelle Vorgaben einzuhalten: Die pflegerische Leitung einer Spitex-Institution kann nur einer Person übertragen werden, die über eine Bewilligung zur fachlich eigenverantwortlichen Tätigkeit verfügt; d.h. betreffend diese gelangen die Anforderungen gemäss GesBG zur Anwendung.
Demgegenüber wird hinsichtlich der Mindestanforderungen an die Berufsqualifikation des angestellten (Fach-)Personals z.B. im Kanton Zürich auf die Einhaltung der Empfehlung «Kompetenzrahmen für das Personal in der Hilfe und Pflege zu Hause» des Spitex-Verbandes Schweiz verwiesen und in Bezug auf den Personaleinsatz allgemein festgehalten, dass allen in der Pflege tätigen Personen, nur Aufgaben übertragen werden dürfen, für die sie tatsächlich ausgebildet sind. Kompetenzerweiterungen sind allerdings auch aus gesundheitspolizeilicher Perspektive bei entsprechender Delegation durch diplomierte Pflegefachpersonen zulässig.
Die gesundheitspolizeilichen Anforderungen an den Personalschlüssel und die Ausbildungserfordernisse (sogenannter Skill-Grade-Mix) werden in den kantonalen Grundlagen somit grundsätzlich nicht prospektiv allgemein festgelegt, sondern orientieren sich am konkreten Dienstleistungsangebot gemäss Betriebskonzept. Solange sich der Personaleinsatz im Rahmen der tatsächlich erbrachten Leistungen im entsprechend behördlich bewilligten Rahmen bewegt, besteht grundsätzlich kein Risikopotenzial. Gleiches gilt für ordnungsgemäss delegierte Massnahmen.

Abrechnung der Spitex-Leistungen über die Grundversicherung

Bei der Tätigkeit zulasten der OKP statuieren die Zulassungsvoraussetzungen in Bezug auf Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause im Sinne von Art. 51 KVV (Leistungserbringer gemäss Art. 35 Abs. 2 Buchstabe dbis KVG), dass diese u.a. über das erforderliche Fachpersonal verfügen müssen, das eine dem Tätigkeitsbereich entsprechende Ausbildung hat. Diese beiden Teilgehalte werden allerdings weder im KVG noch im zugehörigen Verordnungsrecht näher konkretisiert.
«Es muss stets gewährleistet werden, dass eine qualitativ hochstehende und zweckmässige medizinische Versorgung erbracht werden kann».
Da die krankenversicherungsrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen keine bestimmte Quote von spezifisch ausgebildetem Pflegefachpersonal statuieren, steht es Spitex-Organisationen ausgehend von deren Organisationshoheit grundsätzlich frei, ihren Personalschlüssel zu gestalten. Diese Organisationshoheit besteht allerdings nur in den Grenzen der Verpflichtung nach Art. 36a Abs. 1 Satz 2 KVG; d.h. es muss stets gewährleistet werden, dass eine qualitativ hochstehende und zweckmässige medizinische Versorgung erbracht werden kann. In diesem Zusammenhang bezog sich das Bundesgericht in einem neueren Entscheid auf die ständige Rechtsprechung, wonach:
«weder Gesetz (KVG) noch Verordnungen (KVV, KLV) definieren, welchen fachlichen Mindestanforderungen Angestellte von Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause im Sinne von Art. 35 Abs. 2 lit. e KVG und Art. 51 KVV zu genügen hätten, damit die von ihnen erbrachten Leistungen durch die OKP zu vergüten seien. (BGE 145 V 161 E. 3.3.1)». Diese Rechtsprechung wurde in BGE 150 V 273 bestätigt.

Organisationsfreiheit und Grenzen des pflichtgemässen Ermessens

Gemäss höchstrichterlicher Rechtsprechung liegt der Entscheid, welche fachlichen und persönlichen Voraussetzungen für die Pflege der Versicherten zu Hause erforderlich sind, grundsätzlich im pflichtgemässen Ermessen der Leitung der jeweiligen Spitex-Organisation und der für die Anordnung zuständigen ärztlichen Fachperson.
Wann die Grenzen des pflichtgemässen Ermessens überschritten werden, wurde bislang v.a. in den Entscheiden zur sogenannten Angehörigenpflege dahingehend geklärt, dass der Einsatz von Laien grundsätzlich bei Massnahmen der Grundpflege zulässig ist. Auch im krankenversicherungsrechtlichen Bereich besteht somit prinzipiell ein breiter Ermessensspielraum.
Angesichts des stetig zunehmenden Fachkräftemangels in der Schweiz und der behördlichen Untätigkeit betreffend die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen sehen sich alle Betriebe im Gesundheitswesen mit dem Besetzen der offenen Stellen mit Schwierigkeiten konfrontiert.
Eine Lösung bietet sich diesfalls an, indem angestellte (Fach-)Personen im Rahmen der Delegation – d.h. unter fachlicher Aufsicht einer Fachperson, welche die qualitativen Bewilligungs- und Zulassungsvoraussetzungen einhält – tätig werden. Allerdings sind diesfalls die gesundheitspolizeilichen und krankenversicherungsrechtlichen Anforderungen an eine ordnungsgemässe Delegation (Auswahl, Instruktion, Überwachung, Dokumentation etc.; für eine vertiefte Darstellung der Delegation, siehe den Buchbeitrag von Mirjam Olah) strikte zu erfüllen. Ansonsten droht das Strafgericht mit Freiheitsstrafe (s.o. der NZZ-Artikel).

Existenzgefährdende Sanktionen

Im schlimmsten Fall drohen Freiheitsstrafen bis zu 10 Jahren: Wenn wiederholt und vorsätzlich im Wissen um Nichterfüllen der Voraussetzungen zu Lasten der Krankenkasse abgerechnet wird, kann insbesondere der Tatbestand des Betrugs nach Art. 146 des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB) erfüllt sein. Im eingangs erwähnten Strafverfahren wurde eine bedingte Geldstrafe verhängt, die beschuldigte Pflegefachperson verbrachte jedoch nur einen Tag in (Untersuchungs-)Haft.
Parallel drohen die krankenversicherungsrechtlichen und gesundheitspolizeilichen Konsequenzen, die von der Rückerstattung von zu Unrecht bezogenen Vergütungen, über hohe Bussen bis hin zu definitiven und schweizweiten Berufsausübungsverboten für das gesamte Tätigkeitsspektrum reichen und damit existenzbedrohend sein können.
  • Der «Rechtsfall der Woche» ist ein Partner-Inhalt von Walder Wyss.
Eine dynamische Präsenz im Markt – Walder Wyss gehört mit mehr als 300 juristischen Experten und Expertinnen an sechs Standorten in allen Sprachregionen zu den führenden Schweizer Kanzleien für Wirtschaftsrecht. Kontinuierliches Wachstum, Kollegialität, Teamarbeit und Leistungswille haben bei Walder Wyss einen hohen Stellenwert – über alle Bereiche und Funktionen hinweg.

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