Arbeitsbedingungen im HUG: Die Alarmglocken läuten

Burn-out, Belästigung, Schuldzuweisungen: Eine anonyme Umfrage unter Genfer Ärztinnen und Ärzten deutet strukturelle Probleme an.

, 18. Juli 2025 um 08:23
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Eingangsbereich der HUG in Genf  |  Bild: David Wagnières / PD HUG
Eine anonyme Umfrage liefert neue Einblicke in den Arbeitsalltag der Ärztinnen und Ärzte am Universitätsspital Genf (HUG). Durchgeführt wurde die Erhebung von der Association des Médecins d'Institutions de Genève (AMIG), also von der Interessenvertretung der angestellten Ärzte; und sie basiert auf 106 anonymen Antworten.
Sehr repräsentativ ist das nicht – am HUG arbeiten 2'200 Ärztinnen und Ärzte –, aber doch kommt hier eine Reihe von wiederkehrenden Problemen ans Licht: zu lange Arbeitszeiten, mangelnde Anerkennung von Überstunden, begrenzter Zugang zu Fort- und Weiterbildung, psychischer Druck und Mobbing. Die Gleichförmigkeit der Aussagen deutet auf strukturelle Probleme.
Und diese Probleme betreffen alle Ebenen der medizinischen Hierarchie: von Assistenzärzten über Oberärztinnen bis hin zu Assistenten und Praktikanten. Die Situation am HUG scheint kein Einzelfall zu sein. Auch in anderen Schweizer Spitäler berichten die Angestellten über derartige Zustände.

Verstösse gegen das Arbeitsgesetz?

Erste Feststellung: Die angegebene Wochenarbeitszeit überschreitet regelmässig die vertraglich festgelegten Grenzen. Assistenzärzte geben an, durchschnittlich 55 Stunden pro Woche zu arbeiten, Oberärzte 52 und Assistenzärzte 56 Stunden. Nur 8 Prozent der Assistenzärzte und 4 Prozent der Oberärzte geben an, dass sie ihre Arbeitszeiten konsequent einhalten.
«Uns wurde im Pflichtenheft für Praktikanten deutlich mitgeteilt, dass Überstunden nicht geduldet werden.»
Laut der AMIG bleiben diese Überschreitungen oft unsichtbar, da es kein funktionierendes Meldesystem gebe. So könne ein Drittel der Assistenzärzte und fast ein Fünftel der Oberärzte ihre Überstunden nie anerkennen lassen. Andere sprechen von Schuldzuweisung oder Drohungen. Selbst bei den Leitenden Ärzten geben 25 Prozent an, dass sie ihre überschüssige Arbeitszeit nie melden können.

Die Erhebung

Um die Angestellten dazu zu ermuntern, über ihre Arbeitsbedingungen zu sprechen, startete die AMIG eine Plakatkampagne in mehreren Abteilungen des HUG. Per QR-Code wurde auf einen anonymen Fragebogen verwiesen. Innerhalb weniger Wochen haben 106 Personen geantwortet. Ziel war es, konkrete Berichte aus der Praxis zu erhalten und einen Dialog mit der Institution zu eröffnen.
Mit ihrem absichtlich provokanten Ton steht diese Initiative im Gegesatz zu der Mitarbeiterbefragung des HUG von 2022 die eine Zufriedenheitsquote von über 70 Prozent feststellte. Denkbar ist, dass an der neuen Umfrage hauptsächlich jene teilnahmen, die unzufrieden sind: ein selektiver Ausschnitt, der jedoch auf ein reales Unbehagen in einem Teil der Ärzteschaft hindeutet.
Auch der Ausgleich von Überstunden – sei es durch Ruhezeit oder Bezahlung – scheint eher die Ausnahme als die Regel. Nur 4 Prozent der Assistenzärzte und 11 Prozent der Oberärzte geben an, dass sie systematisch entschädigt werden.

Organisation auf dem Prüfstand

Die mangelnde Vorhersehbarkeit der Zeitpläne erschwere die Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben. Ein Viertel der Assistenzärzte und fast ein Fünftel der Oberärzte sagten aus, dass sie ihren Zeitplan nie im Voraus kennen. 43 Prozent der Assistenzärzte und 36 Prozent der Oberärzte sind der Meinung, dass sie sich nicht ausreichend erholen können.
«Hunderte von Stunden, in denen ich hinter dem Computer administrative Aufgaben erledigte, hielten mich davon ab, klinische Fortschritte zu machen.»
Ein Drittel der Assistenzärzte gibt an, dass sie nie genug Zeit für die Patienten haben. Als Gründe werden werden Verwaltungsaufgaben, mangelnde Stabilität in den Teams und eine fragmentierte Arbeitsbelastung genannt.

Die psychische Gesundheit leidet

Fast die Hälfte der Assistenz- und Oberärzte ist der Meinung, dass sich ihre Tätigkeit schädlich auf ihre psychische Gesundheit auswirkt.
«Ich befinde mich seit Beginn meiner Assistenzzeit in einer leichten, aber chronischen Form von Depression und warte darauf, meinen Weg zu finden, der vielleicht ausserhalb des medizinischen Bereichs liegen wird.»
Ausnahmslos alle befragten Assistenzärzte berichten von negativen Auswirkungen auf ihr psychisches Gleichgewicht, 88 Prozent von häufigen Anzeichen von Burnout. Mehrere gaben an, dass sie darüber nachgedacht hätten, den Arztberuf aufzugeben.
«Ich habe das Gefühl, dass sich viele von uns Ärzten in einem Zustand des permanenten Burn-out oder «Pre-Burn-out» befinden».
Die Berichte über Belästigungen, sei es moralischer oder sexueller Art, sind zahlreich und ziehen sich durch alle hierarchischen Ebenen. Fast die Hälfte der Assistenzärzte und Oberärzte gab an, Opfer gewesen zu sein, während mehr als 60 Prozent aussagten, Zeugen gewesen zu sein. Einige Bemerkungen zeugen von noch immer vorhandenen sexistischen Stereotypen: «Kinder sind etwas für Frauen. Keine 80 Prozent-Stellen für Männer», meine ein stellvertretender Chefarzt.
Andere Stimmen prangern ein allgemein schlechtes Klima an: «Misshandlungen sind praktisch allgegenwärtig, ob sie nun von den Opfern als solche erkannt werden oder nicht».

Zuhören – und Handeln

Die AMIG wehrt sich jedoch gegen jede konfrontative Haltung. Sein Ziel ist es, einen konstruktiven Dialog mit der Institution zu eröffnen, der sich auf konkrete Daten stützt. Die Ergebnisse der Umfrage sollen keine Polemik schüren, sondern eine einfache Frage stellen: Wie können die Arbeitsbedingungen am HUG konkret und schnell verbessert werden?

Zum (Nach-)Lesen

  • Ein Drittel der Internisten erwägt einen Ausstieg. Müdigkeit, Desillusionierung, emotionale Überlastung: Eine landesweite Umfrage belegt Stress bei den Fachärzten für Allgemeine Innere Medizin.
  • Der Sendungs-Tipp: Desillusionierte junge Ärzte. Jung, motiviert, ernüchtert: Eine RTS-Reportage ging der Frage nach, warum viele Assistenzärztinnen und -ärzte bald den Beruf wechseln. (Allerdings auf Französisch).
  • «Einige erkannten ihre eigene Geschichte». Machtspiele, sexuelle Übergriffe, Schweigen: In einem TV-Film berichteten Ärztinnen aus der Romandie von Missständen in den Spitälern. Die Chirurginnen reagieren.
  • Die versteckte Krise: Ärztinnen sind suizidgefährdeter als Ärzte. Die Selbstmordraten bei Ärzten sinken weltweit. Aber Ärztinnen sind immer noch speziell gefährdet.

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