Das «British Medical Journal» thematisiert mit einer Studie sowie einem
Leitartikel jüngst die Suizidalität in der Ärzteschaft. Der Ausgangspunkt war dabei eine Meta-Studie, welche Public-Health-Forscher aus Wien und Boston erarbeitet hatten.
Dabei wählten die Forscher um Claudia Zimmermann einen doppelten Adlerblick: Erstens nahmen sie eine langfristige Perspektive, indem sie alle greifbaren Erhebungen zwischen 1960 und 2020 aufnahmen; teils berücksichtigten sie auch noch frühere Studien aus den 1930ern oder spätere Daten. Zweitens blickten in die Breite, indem sie Studien aus insgesamt 20 Ländern berücksichtigten (darunter die Schweiz).
Insgesamt 64 Forschungsarbeiten wurden am Ende ausgewertet. Sie zeigen, dass die Selbstmord-Rate der Ärzte bei beiden Geschlechtern in der langfristigen Tendenz gesunken ist – auch und gerade im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung. Studien aus den 1960er bis 1980er Jahren zeigten zum Beispiel regelmässig massiv überdurchschnittliche Raten; mit der Zeit erfolgte aber eine spürbare Angleichung an den Durchschnitt in den jeweiligen Gesellschaften.
Zweitens war die Suizidalität bei den Medizinerinnen signifikant ausgeprägter als bei den Medizinern: Sie lag bei den Frauen 1.76mal höher als im Bevölkerungsschnitt; bei den Männern war der Wert nur um den Faktor 1.05 höher. Für die Schweiz erhoben die Forscher einen Durchschnittswert von 1.23 – dies auf der Basis von Daten des Bundesamts für Statistik von 2008 bis 2020.
Letztendlich ist die Suizidalität der Ärzteschaft immer noch höher als im Durchschnitt anderer Berufe mit vergleichbarem sozioökonomischem Status. Dies nicht nur wegen der erwähnten höheren Neigung zum Suizid bei Ärztinnen: Auch die Selbstmord-Rate der männlichen Ärzte lag mit 1.81 deutlich über dem Wert vergleichbarer Berufe.
Stress und Perfektionismus
Ganz überraschend ist das nicht. Es ist seit Jahrzehnten bekannt, dass Ärzte verstärkt zu Selbstmord neigen; dies wurde auch schon in diversen Studien zu durchschauen versucht. Zur Erklärung dienen die höhere Burnout-Gefahr und der Dauerstress; oder die Tatsache, dass sich Ärzte eher schwer damit tun, psychologische und psychiatrische Hilfe zu beanspruchen; oder der erleichterte Zugang zu gewissen Medikamenten; oder schliesslich, dass der Beruf auch Menschen mit eher heiklen Persönlichkeitszügen anzieht – etwa Perfektionismus.
Laut dem Editorial des BMJ stellt die neue Studie aber vor allem auf den Aspekt ins Rampenlicht, dass die ausgeprägte Lebensmüdigkeit bei den Ärztinnen kaum beachtet wird: Dies verlange neue Antworten. Und dies müsse noch viel intensiver untersucht werden. Mit dem Ziel, die spezifischen Ursachen zu finden und geschlechtstypische Interventionen zu entwickeln.