Als grösste Detailhändlerin der Schweiz setzt sich Migros zwar für Gesundheitsförderung ein – etwa mit medizinischen Dienstleistungen über das Medbase-Netzwerk und der digitalen Plattform iMpuls, die Expertenwissen zu Ernährung, Bewegung, Wellness und Medizin bietet.
Doch trotz dieses Engagements vollzog die Migros einen überraschenden Richtungswechsel: Nachdem sie den Nutri-Score bis 2021 schrittweise eingeführt hatte, entschied sie sich im vergangenen Jahr, ihn wieder von ihren Produkten zu entfernen. Die Begründung: Der Nutzen sei im Verhältnis zu den hohen Kosten zu gering.
Diese Entscheidung sorgt nun für Kritik. Wie das
«Westschweizer Radio und Fernsehen» (RTS) berichtet, haben rund 350 Gesundheitsfachleute einen offenen Brief an die Migros-Konzernleitung verfasst. Sie fordern die Wiedereinführung des Nutri-Scores, da sie negative Folgen für die öffentliche Gesundheit befürchten.
Kontroversen
Der in Frankreich entwickelte Nutri-Score bewertet Lebensmittel mit einer Skala von A bis E und einer Farbkennzeichnung von Grün bis Rot, um deren Nährwert auf einen Blick ersichtlich zu machen. Während das System nach wie vor kontrovers diskutiert wird, bietet es Konsumenten eine schnelle Orientierung zu gesättigten Fettsäuren, Zucker- und Salzgehalt.
Die Einführung des Nutri-Scores hat bereits zahlreiche Hersteller dazu veranlasst, die Rezepturen ihrer Produkte zu überarbeiten. Inzwischen haben mehrere europäische Länder die Kennzeichnung übernommen.
In der Schweiz bleibt der Nutri-Score hingegen freiwillig. Trotz Forderungen von Gesundheitsexperten entschied der Nationalrat 2024, auf eine verpflichtende Einführung zu verzichten.
Strengere Kriterien
Gleichzeitig steht der Nutri-Score immer wieder im Visier der Lebensmittelindustrie-Lobby. Die Psychiaterin Adela Abella, Initiantin des offenen Briefs, sieht hinter der Entscheidung der Migros vor allem wirtschaftliche Interessen und Profitstreben. «Die Abschaffung des Nutri-Scores erfolgte, nachdem die Kriterien verschärft wurden – ohne Rücksicht auf die Auswirkungen für die öffentliche Gesundheit», kritisiert sie in der Zeitung
«24heures»Anfang 2024 wurden die Anforderungen an den Nährwert-Score nämlich nach oben korrigiert, sodass die Hersteller ihre Werte bis Ende 2025 neu berechnen mussten.
Wichtiges Werkzeug
Trotz mancher Kritik gilt der Nutri-Score für viele Fachleute als unverzichtbares Instrument zur Verbraucherinformation. «Es ist derzeit das beste verfügbare System», betont Rebecca Eggenberger, Ernährungsverantwortliche der Westschweizer Konsumentenvereinigung, in «24heures». «Da ein unabhängiger wissenschaftlicher Ausschuss den Nutri-Score alle fünf Jahre überprüft, wird er kontinuierlich verbessert und mögliche Schwächen werden behoben. Ohne eine solche Orientierungshilfe sind Verbraucher bei der Einschätzung von Nährwerten auf sich allein gestellt – eine Herausforderung»
Die Unterzeichner des offenen Briefs warnen: In der Schweiz sind bereits 43 Prozent der Bevölkerung übergewichtig oder fettleibig.
Sendung «A bon entendeur» des «Westschweizer Radio und Fernsehen» RTS», 18. März 2025