In der Schweiz war es der Fall des
«Todespflegers» von Luzern, in Deutschland läuft momentan ein grosser Prozess
gegen einen Palliativmediziner, der womöglich Dutzende Menschen umgebracht hat. In Grossbritannien streitet die die Öffentlichkeit bis heute, ob die 2024 verurteilte
Pflegefachfrau Lucy Letby tatsächlich sieben Babys vergiftet hat. Und nun dreht sich auch in Frankreich ein Prozess um eine Serie von Patientenmord-Fällen: An diesem Montag wurde der Prozess gegen ein Anästhesist und Intensivmediziner eröffnet.
Nach acht Jahren Ermittlungen muss sich der Arzt Frédéric P. vor einem Schwurgericht in Besançon verantworten – angeklagt, dass er dreissig Patienten im Alter von 4 bis 89 Jahren vergiftet hat. 12 der Opfer starben. Der Prozess dürfte vier Monate dauern, das Urteil wird im Dezember erwartet.
Verdächtige Infusionsbeutel
Die Vorwürfe betreffen die Jahre 2008 bis 2017 beziehungsweise zwei Gesundheitseinrichtungen: die Klinik Saint-Vincent und die Poliklinik von Franche-Comté. Dort wurde eine Reihe von «schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen» gemeldet. Auslöser der Ermittungen waren zwei unerklärliche Herzstillstände, die bei Patienten ohne besondere Vorerkrankungen und nach kleineren Operationen auftraten.
Laut den Gutachten fand man kontaminierte Infusionsbeutel, die beispielsweise tödliche Dosen von Kalium oder Anästhetika enthielten. Für die Ermittler gibt es eine Gemeinsamkeit, die alle diese Vorfälle miteinander verbindet: die Anwesenheit desselben Arztes.
Nun wird vermutet, dass der Mann die Vergiftungen absichtlich herbeigeführt hat, um seine Fähigkeiten als Reanimator bei Notfalleinsätzen zu demonstrieren und um Kollegen zu schaden, mit denen er in Konflikt geraten war.
Der Angeklagte, 53, beteuert seit Beginn der Affäre seine Unschuld und plädiert auf Freispruch. «Er wartet seit acht Jahren auf diesen Prozess, das ist alles, was ihm im Leben noch bleibt», sagt einer seiner Anwälte gegenüber
«Radio France».Mehr als 150 Zivilparteien
Der Prozess mobilisiert rund 50 Anwälte und mehr als 150 Nebenkläger – mutmassliche Opfer sowie Angehörige verstorbener Patienten. Bereits zu Beginn der Verhandlung wurden neue Anträge registriert, insbesondere von der nationalen Ärztekammer, die der Ansicht ist, dass der Berufsstand durch den Skandal «beschmutzt» wurde. Die beiden betroffenen Kliniken traten ebenfalls als Zivilkläger auf und versuchten, ihren schwer beschädigten Ruf wiederherzustellen, berichtet
«France Info».
Denn über den Einzelfall hinaus wirft der Prozess die Frage nach dem Vertrauen in die medizinische Institution und den Kontrollmöglichkeiten innerhalb der Gesundheitseinrichtungen auf. Vier Monate lang wird das Gericht versuchen, ein medizinisches und juristisches Rätsel zu lösen: Wer war wirklich für die Vergiftungen verantwortlich?
Die überlebenden Patienten leiden oft unter schweren neurologischen und Sehstörungen, körperlichen Behinderungen und psychischen Traumata.
«Prozess gegen den Anästhesisten: Die Auswirkungen des Traumas für die Klinik», Reportage von «France 3 Bourgogne-Franche-Comté», 3. September 2025.