Cyberattacken: «Spitäler sind oft schlecht geschützt»

Die Gefahr, Opfer eines Cyberangriffs zu werden, ist für Gesundheitseinrichtungen gross. Zugleich hätten die Angreifer oft leichtes Spiel, sagt der IT-Sicherheitsexperte Marc Ruef im Interview.

, 27. Oktober 2023 um 11:36
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Marc Ruef ist Mitbegründer der Firma scip AG in Zürich, die Beratungen im Bereich Cybersecurity anbietet. |zvg
Spitäler, Arztpraxen und Altersheime sind zu beliebten Angriffszielen von Cyberattacken geworden. Weil sie zumeist nur ungenügen geschützt sind, hätten Angreifer leichtes Spiel, sagt der IT-Sicherheitsexperte Marc Ruef im Interview.
Was für ein Motiv hat eine Hackergruppe, wenn sie die IT-Infrastruktur einer Gesundheitseinrichtung lahmlegt? Cybercrime ist zu einem Geschäftsmodell geworden, bei dem der klassische Grundsatz verfolgt wird, mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel Geld zu verdienen. Bei einer Ransomware werden Daten verschlüsselt, so dass diese durch das Opfer «freigekauft» werden müssen.
Wie gehen die Hacker konkret vor? In der Regel wird eine normale Infektion der Zielumgebung angestrebt, wie man das seit Jahrzehnten von Viren und Würmern kennt. Danach wird sich Zugriff auf Daten erschlichen und diese exfiltriert, um ein zusätzliches Faustpfand zu haben. Erst dann werden die Daten verschlüsselt und das Opfer über seine missliche Lage informiert. Dieses wird dann zu einer Lösegeldzahlung gedrängt.

Hintergrund:

Die Psychiatrie Baselland war am 15. Oktober Opfer eines Cyberangriffs geworden (Medinside berichtete) und konnte erst zehn Tage später ihren Normalbetrieb wieder schrittweise aufnehmen. Auch wenn das PBL inzwischen wieder per E-Mail erreichbar ist und ein Teil der IT-Systeme hochgefahren werden konnten, so würden die Reparaturarbeiten an allen Systemen sowie die Analyse des Vorfalls noch mehrere Wochen in Anspruch nehmen, heisst es in einer Mitteilung.
Wer steckt hinter solchen Hackergruppen und wie hoch sind die Lösegeld-Beträge in der Regel? Gut organisierte Banden sind um derlei Ransomware-Infektionen bemüht. Früher wurde ein pauschales Lösegeld, unabhängig vom angegriffenen Unternehmen und betroffenen Daten, verlangt. Heute nehmen sich die Kriminellen mehr Zeit, versuchen den Wert der Daten zu verstehen und dementsprechend personalisierte Kampagnen umzusetzen. Fünfstellige oder in Ausnahmefällen gar sechsstellige Lösegeldforderungen sind durchaus möglich. Jedes Unternehmen sollte sich selber fragen: Wo ist unsere Schmerzgrenze?
Die Psychatrie Baselland wurde jüngst Opfer eines Cyberangriffs. Wie sollte ein Spital reagieren, wenn es eine solche Attacke bemerkt? Auf eine Kommunikation mit der Täterschaft sollte vorerst verzichtet werden. Es gilt unter Hochdruck Spezialisten beizuziehen, die den Ursprung und die Beschaffenheit der Infektion identifizieren können. Danach kann entschieden werden, wie mit dem Fall umgegangen wird. Im besten Fall kann ein Backup eingespielt werden … und im schlechtesten muss man halt der Lösegeldzahlung nachkommen.
Wie wahrscheinlich ist es, dass die Psychiatrie ihre Systeme selbst wiederherstellen konnte ohne ein Lösegeld zu zahlen? Täter kopieren in der heutigen Zeit die Daten, bevor sie verschlüsselt werden. Selbst wenn eine Organisation die verschlüsselten Daten wiederherstellen kann, kann mit einer Veröffentlichung der gestohlenen Daten gedroht werden. Da es sich im Gesundheitsumfeld oft um sehr heikle und besonders schützenswerte Daten handelt, sind solche Fälle besonders problematisch. Ein Backup ist also nicht immer die Lösung.
Wie kann sich ein Spital gegen Angriffe schützen? Man kann nicht Digitalisierung zelebrieren, ohne ebenfalls Cybersecurity zu machen. Wer ein solches Risiko eingeht, muss mit einem empfindlichen Schaden rechnen. Klassische Mechanismen, wie Härten von Systemen, Patching, Netzwerksegmentierung, Firewalling und Antiviren-Lösungen können massgeblich dabei helfen, kein lohnendes Ziel zu sein. Nur so kann man das Geschäftsmodell der Kriminellen unattraktiv machen.
Aus Ihrer Erfahrung: sind die Spitäler und Gesundheitseinrichtungen diesbezüglich gut aufgestellt? Nein. Der Fokus und die Informationskultur im Gesundheitsbereich widersprechen den Anforderungen der Cybersicherheit. Hier muss ein Umdenken stattfinden, um die Bedürfnisse beider Welten miteinander vereinen zu können. Eine besonders komplexe Herausforderung, um die man jedoch nicht herumkommen wird. Solange man das nicht tut, sind Mitarbeiter und Patienten die wahren Opfer, denn diese können sich nicht aus eigener Kraft gegen digitale Übergriffe wehren.
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