Cyberattacken: «Spitäler sind oft schlecht geschützt»

Die Angreifer auf Gesundheits-Einrichtungen hätten auch allzu oft leichtes Spiel, sagt IT-Sicherheitsexperte Marc Ruef im Interview.

, 27. Oktober 2023 um 11:36
letzte Aktualisierung: 13. Mai 2024 um 08:00
image
Marc Ruef ist Mitgründer der Scip AG in Zürich, die Beratungen im Bereich Cybersecurity anbietet. | zvg
Herr Ruef, welches Motiv hat eine Hackergruppe, wenn sie die IT-Infrastruktur einer Gesundheitseinrichtung lahmlegt? Cybercrime ist zu einem Geschäftsmodell geworden, bei dem der klassische Grundsatz verfolgt wird, mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel Geld zu verdienen. Bei einer Ransomware werden Daten verschlüsselt, so dass diese durch das Opfer «freigekauft» werden müssen.
Wie gehen die Hacker konkret vor? In der Regel wird eine normale Infektion der Zielumgebung angestrebt, wie man das seit Jahrzehnten von Viren und Würmern kennt. Danach erschleicht man sich Zugriff auf Daten und exfiltriert diese, um ein zusätzliches Faustpfand zu haben. Erst dann werden die Daten verschlüsselt und das Opfer über seine missliche Lage informiert. Es wird dann zu einer Lösegeldzahlung gedrängt.
Die Psychiatrie Baselland wurde am 15. Oktober 2023 Opfer eines Cyberangriffs und konnte erst zehn Tage später ihren Normalbetrieb wieder schrittweise aufnehmen. Die Reparaturarbeiten an allen Systemen sowie die Analyse des Vorfalls nahmen danach noch mehrere Wochen in Anspruch.
Wer steckt hinter solchen Hackergruppen und wie hoch sind die Lösegeld-Beträge in der Regel? Gut organisierte Banden sind um derlei Ransomware-Infektionen bemüht. Früher wurde ein pauschales Lösegeld, unabhängig vom angegriffenen Unternehmen und betroffenen Daten, verlangt. Heute nehmen sich die Kriminellen mehr Zeit, versuchen den Wert der Daten zu verstehen und dementsprechend personalisierte Kampagnen umzusetzen. Fünfstellige oder in Ausnahmefällen gar sechsstellige Lösegeldforderungen sind durchaus möglich. Jedes Unternehmen sollte sich selber fragen: Wo ist unsere Schmerzgrenze?
Die Psychatrie Baselland wurde im Herbst 2023 Opfer eines Cyberangriffs. Wie sollte ein Spital reagieren, wenn es eine solche Attacke bemerkt? Auf eine Kommunikation mit der Täterschaft sollte vorerst verzichtet werden. Es gilt unter Hochdruck Spezialisten beizuziehen, die den Ursprung und die Beschaffenheit der Infektion identifizieren können. Danach kann entschieden werden, wie mit dem Fall umgegangen wird. Im besten Fall kann ein Backup eingespielt werden … und im schlechtesten muss man halt der Lösegeldzahlung nachkommen.
Wie wahrscheinlich ist es, dass so ein Institut seine Systeme selbst wiederherstellen kann ohne ein Lösegeld zu zahlen? Täter kopieren in der heutigen Zeit die Daten, bevor sie verschlüsselt werden. Selbst wenn eine Organisation die verschlüsselten Daten wiederherstellen kann, kann mit einer Veröffentlichung der gestohlenen Daten gedroht werden. Da es sich im Gesundheitsumfeld oft um sehr heikle und besonders schützenswerte Daten handelt, sind solche Fälle besonders problematisch. Ein Backup ist also nicht immer die Lösung.
Wie kann sich ein Spital gegen Angriffe schützen? Man kann nicht Digitalisierung zelebrieren, ohne ebenfalls Cybersecurity zu machen. Wer ein solches Risiko eingeht, muss mit einem empfindlichen Schaden rechnen. Klassische Mechanismen, wie Härten von Systemen, Patching, Netzwerksegmentierung, Firewalling und Antiviren-Lösungen können massgeblich dabei helfen, kein lohnendes Ziel zu sein. Nur so kann man das Geschäftsmodell der Kriminellen unattraktiv machen.
Aus Ihrer Erfahrung: sind die Spitäler und Gesundheitseinrichtungen diesbezüglich gut aufgestellt? Nein. Der Fokus und die Informationskultur im Gesundheitsbereich widersprechen den Anforderungen der Cybersicherheit. Hier muss ein Umdenken stattfinden, um die Bedürfnisse beider Welten miteinander vereinen zu können. Eine besonders komplexe Herausforderung, um die man jedoch nicht herumkommen wird. Solange man das nicht tut, sind Mitarbeiter und Patienten die wahren Opfer, denn diese können sich nicht aus eigener Kraft gegen digitale Übergriffe wehren.
  • cybercrime
  • cyberattacken
  • spital
  • Psychiatrie Baselland
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Jede Notfall-Konsultation kostet 460 Franken

Notfallstationen werden immer öfter besucht. Eine Obsan-Studie bietet neue Zahlen dazu. Zum Beispiel: 777'000 Personen begaben sich dreimal in einem Jahr auf den Spital-Notfall.

image

Zürcher Krankenhäuser und Versicherer haben sich geeinigt

Nun ist ein jahrelanger Streit beendet: Die Zürcher Spitäler vereinbaren mit Helsana, Sanitas und KPT einen Taxpunktwert von 93 Rappen - ein Kompromiss.

image

Balgrist-Team behandelt im Spital Männedorf

Das Spital Männedorf hat eine neue Klinik für Orthopädie und Traumatologie. Das Team kommt vom Balgrist.

image

Solothurner Spitäler: Bericht zu CEO-Lohn bleibt vorerst geheim

Noch ist unklar, ob Zusatzzahlungen an den Ex-Chef der Solothurner Spitäler rechtens waren. Der Bericht dazu ist da - aber nicht öffentlich.

image

Kispi wegen «Riesenfete» kritisiert – doch die Köche arbeiten gratis

Das überschuldete Kinderspital Zürich feiere seinen Neubau mit einem Michelin-Sternkoch, schreibt ein Online-Medium provokativ.

image

Weitere Umstrukturierung bei Hirslanden – Thomas Bührer in die Konzernleitung

Die Spitalgruppe schafft intern eine neue «Region Mittelland». Damit sollen die Versorgerregionen auch näher an der Konzernleitung sein.

Vom gleichen Autor

image

«Manche haben unrealistische Erwartungen an die Schweiz»

Die Schweiz erscheint für viele ausländische Ärzte als Traumland. Was es braucht, damit der Jobwechsel gelingt, erklären die Ärztevermittler Francesca und Jan Saner.

image

«Die Anspruchshaltung ist spürbar gestiegen»

Die Spitäler verspüren mehr Gewaltbereitschaft bei Patienten. Adrian Kaegi, ehemaliger Staatsanwalt für Gewaltkriminalität und Ärztefälle, über die Hintergründe.

image

«Das Spital wird als rechtsfreier Raum wahrgenommen»

Gewalttätige Patienten und Angehörige belasten das Gesundheitspersonal – doch Konsequenzen haben sie kaum zu fürchten. Das muss ändern, sagt Pflegefachmann und Aggressions-Trainer Stefan Reinhardt.