«Öffentlich und Privat: Beide Systeme kämpfen ums Überleben»

Daniel Lüscher sagt im Interview, warum Spitäler zwischen öffentlichem Auftrag und privatwirtschaftlichem Denken balancieren müssen – und warum sie nicht freitags um 17 Uhr schliessen dürfen.

, 4. August 2025 um 09:30
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Bild: zvg

Daniel Lüscher ist Verwaltungsratspräsident des Kantonsspitals Aarau und neu auch im Verwaltungsrat von Swiss Medical Network. Im Gespräch spricht er über das Spannungsfeld zwischen öffentlicher und privater Spitalversorgung, über Synergien, Fehlanreize – und warum ein Spital auch in Zukunft nicht freitags um 17 Uhr schliessen darf.

Herr Lüscher, Sie stehen an der Spitze eines öffentlichen Spitals und sind gleichzeitig Verwaltungsrat bei der privaten Swiss Medical Network. Wie erleben Sie aktuell das Zusammenspiel der beiden Systeme?
Ich sehe durchaus Potenzial in einer engeren Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Spitälern – das wäre sinnvoll und mittelfristig wohl auch notwendig. Die Systeme könnten voneinander lernen, Synergien besser nutzen. Heute ist das noch zu wenig ausgeschöpft.
Mittelfristig, davon bin ich überzeugt, werden beide Systeme – öffentlich wie privat – weiterhin ihre Berechtigung haben. Das Schweizer Mischsystem wird sich durchsetzen, wobei Konkurrenzsituationen bestehen bleiben.
Wo können öffentliche und private Spitäler voneinander lernen – und wo liegen die grössten Herausforderungen?
Die öffentlichen Spitäler können von den Privaten insbesondere in wirtschaftlichen Fragen lernen, etwa, was Effizienz, Agilität und unternehmerisches Denken betrifft. Private Anbieter agieren oft deutlich offensiver. Umgekehrt muss man anerkennen: Öffentliche Spitäler tragen einen umfassenderen Versorgungsauftrag, sie übernehmen Grundversorgung, Notfallversorgung und oft auch Lehre und Forschung.
Was die Herausforderungen anbelangt, so erfüllen die öffentliche und privaten Spitäler häufig dieselben Leistungsaufträge und konkurrieren um die gleiche Patienten. Das kann durchaus positiv sein und den Qualitätsanspruch fördern – vorausgesetzt, alle halten sich an dieselben Rahmenbedingungen.
Und das ist Ihrer Meinung nach heute nicht der Fall?
Es fehlt an Transparenz. Der private Sektor fokussiert sich gerne auf lukrative Fälle und komplexe, aufwändige Fälle werden an die öffentlichen Spitäler weiterreicht. Das bringt das System aus dem Gleichgewicht und erschwert eine gerechte Steuerung.
Sie sprechen ein heikles Thema an: die «Rosinenpickerei» der Privatspitäler.
Ja, ich sehe das regelmässig. Dass manche private Kliniken am Freitagabend einzelne Kliniken schliessen um Kosten zu sparen und damit Notfälle ins öffentliche Spital verlagern, ist für mich ein Problem, insbesondere, wenn beide denselben Leistungsauftrag erfüllen sollen. Ein Spital muss grundsätzlich rund um die Uhr verfügbar sein.
Was wäre ein gangbarer Weg?
Man könnte solche Modelle offiziell machen – etwa dass gewisse Spitäler abends schliessen dürfen, dafür aber das Zentrumsspital entsprechend dafür entschädigt wird.
Das KSA hat das Spital Zofingen an Swiss Medical Network verkauft, umgekehrt übernimmt das öffentliche Unispital Basel das Claraspital. Sehen wir hier bereits das Zukunftsmodell?
Die Käufe sprechen für mich sinnbildlich: Es gibt nicht den einen richtigen Weg. Wenn sich Chancen bieten, werden sie genutzt – unabhängig davon, ob ein Spital öffentlich oder privat ist. Klar ist: Die Regionalspitäler geraten unter Druck, da werden wir noch mehr Bewegung sehen. Letztlich wollen beide Seiten überleben, was unter den aktuellen Rahmenbedingungen eine Herausforderung ist. Das System ist chronisch unterfinanziert – das wissen wir seit Jahren. Besonders problematisch finde ich: Die Krankenkassen schreiben hohe Gewinne, während viele Spitäler mit Defiziten kämpfen. Dieses Ungleichgewicht ist auf Dauer nicht tragbar.
Mit dem Modell «Viva» und dem «Aare-Netz» streben Sie ein integriertes Versorgungsmodell an, das alle medizinischen Leistungen zentralisiert. Ist dies der entscheidende Schritt, um Kosten und Anforderungen im Spitalbereich zu optimieren?»
Es ist ein Pilot, ein kreativer Ansatz und genau das braucht es in der Schweiz mehr. Wir wollen die Versorgung besser abstimmen, die Leistungen gezielter triagieren. Es geht nicht darum, alles zu zentralisieren, sondern zu triagieren: Wo macht welche Leistung wirklich Sinn? Das ist notwendiger denn je – denn derzeit bieten zu viele Anbieter im gleichen geografischen Raum dieselben Leistungen an. Das ist weder wirtschaftlich noch nachhaltig.
Apropos Kosten: Ohne Tarifanpassung scheint es nicht weiterzugehen. Was muss sich ändern?
Spitäler leisten in erster Linie Basisversorgung – ein klassisches Brot-und-Butter-Geschäft. Wenn dieses nicht adäquat honoriert wird, helfen auch die besten Reorganisationsversuche nur bedingt. Die Tarife müssen inflationsbereinigt angepasst werden, das ist in den letzten Jahren vernachlässigt worden und hat zur aktuellen Schieflage beigetragen. Gleichzeitig müssen auch die Spitäler ihre Hausaufgaben machen: Effizienz und Wirtschaftlichkeit gehören stärker in den Fokus. Gerade öffentliche Spitäler haben sich hier teilweise zu wenig bewegt. Ohne ein Zusammenspiel aus fairer Tarifstruktur, klaren Spitalaufgaben und einer gerechten Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen wird es nicht funktionieren. Inzwischen ist immerhin Bewegung ins System gekommen – vielerorts wurden Tarife angepasst. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Wenn Sie zehn Jahre in die Zukunft blicken: Was sind die grössten Chancen für das Schweizer Gesundheitswesen?
Die Themen sind nicht neu, gewinnen aber weiter an Bedeutung: Innovation, Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Telemedizin, das elektronische Patientendossier – all das bietet grosse Chancen. Auch in der Medizin selbst entstehen neue Perspektiven, etwa durch personalisierte Therapien und Genforschung. Internationale Kooperationen sollten intensiviert werden. Gleichzeitig bleibt der Fachkräftemangel die zentrale Herausforderung. Wir müssen neue Ausbildungsmodelle prüfen und die Attraktivität der Berufe steigern.
Und die Risiken?
Ein Risiko sehe ich in der zunehmenden Akademisierung der Pflege: Viele gut ausgebildete Fachpersonen landen im Büro und fehlen am Patientenbett. Auch die technologische Abhängigkeit ist ein zweischneidiges Schwert – etwa wenn man sich anschaut, wie viel Technik heute in einem Neubau wie jenem in Aarau steckt. Einerseits ein Meilenstein, andererseits macht es das System angreifbarer.
Ein echtes Problem sehe ich zudem in der zunehmenden Regulierungswut. Alle reden rein, alles ist überbürokratisiert. Das lähmt Innovation. Wenn wir das nicht in den Griff bekommen, gefährden wir die Zukunftsfähigkeit unseres Systems.
Aber ich bin zuversichtlich: Es bewegt sich etwas. Und das ist gut so.

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