21 von 46 Patientenbeschwerden waren gerechtfertigt

Eine Gutachterstelle der Ärzteverbindung FMH beurteilt jedes Jahr Vorwürfe, die Patienten erheben. In vielen Fällen sind sie berechtigt.

, 31. Mai 2023 um 12:34
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Das sind die Leiterinnen und der wissenschaftliche Beirat der Gutachterstelle: Jürg Knessl, Michel Bögli, Valérie Rothhardt, Andreas Rindlisbacher, Caroline Hartmann, Gerhard Ebner (v.l.n.r.) | zvg
Wenn Patienten zum Schluss kommen, dass ein Arzt oder ein Spital sie nicht sorgfältig genug behandelt haben, können sie sich an die aussergerichtliche Gutachterstelle der Ärzteverbindung FMH wenden. Diese organisiert medizinische Gutachten, um zu ermitteln, ob in einem konkreten Fall ein Arzt oder eine Ärztin ihre Sorgfaltspflicht verletzt haben oder ein Spital seine Abläufe nicht richtig umgesetzt hat.

13 Mal mit gesundheitlichen Folgen

Im letzten Jahr hat das Gremium 46 Gutachten erstellt, wie dem neusten Jahresbericht zu entnehmen ist. In 21 Fällen kamen die Urteilenden zum Schluss, dass es einen Diagnose- oder Behandlungsfehler gab, der Patient nicht gut aufgeklärt worden war oder bei den Abläufen ein Fehler geschah.
Solche Fehler haben nicht immer gravierende Folgen. 2022 hatten von den 21 festgestellten Sorgfaltspflichtverletzungen nach Ansicht der Gutachter 13 einen Gesundheitsschaden zur Folge.

Orthopädische Chirurgie am umstrittensten

Spitzenreiter bei den Begehren um ein Gutachten ist die Orthopädische Chirurgie. 19 der 46 Gutachten entfallen auf dieses Fachgebiet. In den letzten 40 Jahren noch gar nie ein Gutachten gab es für die Geriatrie.
In den meisten Fachgebieten liegt der Anteil der festgestellten Verletzungen relativ tief. Einzig in der Kardiologie stellten die Gutachter in den letzten Jahrzehnten bei fast der Hälfte der Eingaben eine Verletzung fest.

Nicht repräsentativ

Die Gutachterstelle betont allerdings, dass die Zahlen zu gering seien für wirklich gesicherte Erkenntnisse über Sorgfaltspflichtverletzungen: «Die genannten Zahlen zeigen lediglich die Tätigkeit der FMH-Gutachterstelle.
Diese hat kein Monopol für das Erstellen von Gutachten. Die Patienten geben regelmässig auch private Gutachten in Auftrag. Ausserdem bearbeiten die Spitäler jedes Jahr selber Beschwerden von Patienten.

Gebühr von 1000 Franken

Für ein schriftliches oder mündliches Gutachten müssen die Patienten eine Bearbeitungsgebühr von 1000 Schweizer Franken zahlen. Die restlichen Kosten übernehmen die Haftpflichtversicherungen der betroffenen Ärzte oder Spitäler.

Das beurteilt die Gutachterstelle

  • Der Arzt schuldet seinen Patienten eine sorgfältige Behandlung. Der Massstab dafür orientiert sich am objektiv anerkannten Stand der ärztlichen Wissenschaft im Zeitpunkt der Behandlung.
  • Weil in der Medizin die wissenschaftlichen Ergebnisse voneinander abweichen und die Meinungen verschieden sein können, ist der Arzt dazu berechtigt, sich zwischen verschiedenen adäquaten Therapien oder anderen möglichen Massnahmen zu entscheiden.
  • Eine Pflichtverletzung findet nur dann statt, wenn eine Diagnose, eine Therapie oder ein sonstiges ärztliches Vorgehen nach dem allgemeinen fachlichen Wissensstand nicht mehr als vertretbar erscheint und damit ausserhalb der objektivierten ärztlichen Kunst steht.
  • Ein Spital verletzt seine Sorgfaltspflicht und begeht ein so genanntes Organisationsverschulden, wenn dieses die interne Organisation nicht so umsetzt, dass die Patienten einem möglichst geringen Risiko ausgesetzt werden.

Die Gutachtenden

Das Team der Gutachterstelle besteht aus den zwei Co-Leiterinnen und Rechtsanwältinnen Valérie Rothhardt und Caroline Hartmann, sowie Rebekka Iseli, Nathalie Andrey Mury und Isabella Meschiari.
Ausserdem gibt es einen wissenschaftlichen Beirat, der die Stelle überwacht. Dessen Präsident ist Andreas Rindlisbacher als Vertreter der Ärzte. Ausserdem: Jürg Knessl, Vertreter der Patienten, Michel Bögli, Vertreter der Versicherungen und Gerhard Ebner, Vertreter der Versicherungsmedizin (SIM).

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