«Wie bei der CS werden gewisse Themen erst zur Top-Sorge wenn es zu spät ist»

Eine neue Comparis-Umfrage zeigt, dass jeder vierte Schweizer Haushalt von medizinischen Engpässen betroffen ist. Der Experte Felix Schneuwly kritisiert die Gesundheitspolitik.

, 6. April 2023 um 08:02
image
Haushalte mit Kindern sind besonders vom Medikamentenmangel betroffen. | Symbolbild Freepik
Das Schweizer Gesundheitswesen kämpft mit Personalmangel, Lieferengpässen bei Medikamenten und Medizinaltechnik. Erstmals zeigt Comparis auf, wie sich diese Probleme auf die Patientinnen und Patienten auswirken.
Wie die Umfrage mit 1'020 Personen aus allen Schweizer Regionen zeigt, war in den vergangenen sechs Monaten ein Viertel der Bevölkerung von einem medizinischen Engpass direkt oder indirekt betroffen:
  • 11 Prozent gaben an, selbst betroffen gewesen zu sein.
  • Bei 8 Prozent war eine andere Person im Haushalt betroffen.
  • Bei weiteren 6 Prozent erhielt die befragte Person selbst und zusätzlich eine weitere Person im Haushalt die benötigten Güter oder Behandlungen nicht wie gewohnt.

Kinder leiden am meisten

Bedenklich: Leben Kinder im Haushalt, ist der Anteil signifikant höher. So geben 31 Prozent der Befragten mit Kindern an, betroffen gewesen zu sein. Bei den Befragten ohne Kinder bei sich zu Hause sind es nur 22 Prozent.
«Dass insbesondere Kinder unter medizinischen Versorgungsengpässen leiden, zeigt, wie falsch die Gesundheitspolitik mit dem Kostenröhrenblick der letzten zehn Jahre war», kritisiert der Comparis-Experte Felix Schneuwly in einem Communiqué.
Man löse die Probleme nicht mit Sparpaketen, sondern mit einer Finanzierung, die sich am Behandlungserfolg orientiere, mit offenen Grenzen und besserer Zusammenarbeit mit unseren Nachbarländern

Mehr Schweizer Medikamente

Comparis schlug den Befragten sieben Massnahmen vor, welche die Versorgungssicherheit mit Medikamenten erhöhen könnten.
Die Ergebnisse:
  • Drei Viertel fänden es sinnvoll, wenn mehr Medikamente in der Schweiz produziert würden.
  • Aber auch eine verstärkte internationale Zusammenarbeit sowie die Lockerung der Zulassungsbeschränkungen werden befürwortet.
  • 65 Prozent der Befragten sind für eine verstärkte Zusammenarbeit der Schweiz mit anderen Staaten.
  • 60 Prozent wünschen sich, dass die Schweiz den Import von Medikamenten und Medizinalprodukten zulässt, wenn diese in Ländern mit vergleichbaren Zulassungskriterien bereits erhältlich sind.
  • 54 Prozent würden es zudem begrüssen, wenn in der Schweiz anstelle der heutigen festen Packungsgrössen Medikamente vermehrt rationiert abgegeben würden.
«Die Umfrage zeigt, dass sich die Bevölkerung Lösungen von der Politik wünscht und dass sie wenig Verständnis für verschwenderischen Umgang mit Medikamenten hat. Dass eine inländische Produktion populär ist, überrascht wenig, da sie die vermeintlich sicherste, unabhängigste Variante ist», so Felix Schneuwly.

Der Haken

Die Krux: Würden Medikamente in der Schweiz produziert, hätte das einen Preisanstieg zur Folge. Höhere Preise bezahlen zu müssen, das wollen laut Umfrage allerdings nur 16 Prozent.
«Die Leute, die eine inländische Produktion befürworten, müssen bedenken, dass diese die Produkte stark verteuern würde und weiter von Rohstoffen aus dem Ausland abhängig wäre», macht Schneuwly deutlich. «Hohe Preise wollen die Leute offenbar nicht.»
Dabei sei es so: «Wenn der vom Bundesamt für Gesundheit festgesetzte Preis für einen Hersteller zu tief ist, produziert er eben nicht in der Schweiz oder liefert das in China oder Indien produzierte Medikament nicht hierher.» Die Wahrheit liege oft zwischen den Extrempositionen.

«Heimatschutz reicht nicht»

Trotz hoher Betroffenheit rangieren medizinische Engpässe aktuell nicht in den Top-Sorgen der Bevölkerung. Mit 40 Prozent liegen die Medikamentenengpässe deutlich unter den Sorgen um die Krankenkassenprämien (62 Prozent), die Wohnkosten (60 Prozent) oder die Altersvorsorge (57 Prozent).
«Wie bei der Credit Suisse werden bestimmte Themen erst dann zur Top-Sorge, wenn es zu spät ist.» Die Politik sei also gut beraten, jetzt zu handeln.
«Und in der hoch spezialisierten und vernetzten Welt von heute und morgen reicht Heimatschutz nicht, um medizinische Lieferengpässe in der Schweiz zu verhindern, es braucht offene Grenzen und eine gute internationale Zusammenarbeit», so Schneuwly.
  • politik
  • comparis
  • medikamentensicherheit
  • fachkräftemangel
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Monsieur Prix mag das Réseau de l’Arc

Preisüberwacher Stefan Meierhans schlägt vor, dass die Politik viel stärker auf grosse Gesundheitsnetze mit festen Budgets setzt.

image

Keine Zulassungserleichterung für Orphan Drugs

Eine schnellere Zulassung für Arzneimittel bei seltenen Krankheiten hätte laut dem Bundesrat hohe Kostenfolgen.

image

Kinder- und Jugendpsychiatrie: Nun soll's der Bundesrat richten

Der Nationalrat verlangt, dass der Bundesrat in die Kompetenz der Kantone und der Tarifpartner eingreift.

image

Forschung muss Frauen und Alte mehr berücksichtigen

Der Bund regelt die Forschung an Menschen stärker. Künftig sollen mehr Frauen und Alte teilnehmen.

image

Braucht es ein Bundesgesetz über die Gesundheit?

Ja, findet die Akademie der Medizinischen Wissenschaften – und formuliert gleich einen Vorschlag: So sähen ihre Paragraphen aus.

image

Bei der Gesundheit gibt es keine Bundes-Subventionen zu kürzen

Die Eidgenössische Finanzkontrolle will bei den Subventionen sparen. Der Gesundheitsbereich wird aber vom Bund kaum subventioniert.

Vom gleichen Autor

image

Kinderspital verschärft seinen Ton in Sachen Rad-WM

Das Kinderspital ist grundsätzlich verhandlungsbereit. Gibt es keine Änderungen will der Stiftungsratspräsident den Rekurs weiterziehen. Damit droht der Rad-WM das Aus.

image

Das WEF rechnet mit Umwälzungen in einem Viertel aller Jobs

Innerhalb von fünf Jahren sollen 69 Millionen neue Jobs in den Bereichen Gesundheit, Medien oder Bildung entstehen – aber 83 Millionen sollen verschwinden.

image

Das Kantonsspital Obwalden soll eine Tochter der Luks Gruppe werden

Das Kantonsspital Obwalden und die Luks Gruppe streben einen Spitalverbund an. Mit einer Absichtserklärung wurden die Rahmenbedingungen für eine künftige Verbundlösung geschaffen.