Versicherer werfen Luzerner Ärzten illegales Verhalten vor

Knapp zehn Jahre nach der Eröffnung der Notfallpraxis Sursee, wehren sich die Versicherer gegen die systematische Verrechnung der Notfallpauschale.

, 11. April 2023 um 06:18
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Symbolbild Freepik
Vor zwölf Jahren schlossen sich Ärztinnen und Ärzte im Raum Sursee zusammen und gründeten eine Aktiengesellschaft. Ihr Ziel war es, gemeinsam eine Notfallpraxis am Kantonsspital in Sursee zu betreiben und die Notfallstation des Spitals kostengünstig zu entlasten. Heute werden dort jährlich knapp 8000 Personen behandelt.
Wie gesetzlich vorgeschrieben, leisten sie in der Notfallpraxis abends, an Wochenenden und an Feiertagen ihren Notfalldienst und verrechnen eine Notfallpauschale von durchschnittlich 85 Franken. Bei kleineren Fällen ist die Pauschale höher als die Behandlungskosten.

Versicherer wehren sich

Zehn Jahre nach Eröffnung der Praxis wurden die Krankenkassen CSS und Visana sowie die Unfallversicherung Suva aktiv, um sich gegen die systematische Verrechnung der Notfallpauschale zu wehren.
So weist die Suva Abrechnungen zurück und verlangt, dass die Pauschale gestrichen wird. Doch dazu seien die Ärzte nicht bereit, wie die «Luzerner Zeitung» (Abo) schreibt. Gemäss Ueli Zihlmann, Geschäftsführer der Notfallpraxis Sursee, sollen etwa 500 Rechnungen mit einem Gesamtbetrag von 130'000 Franken offen sein.
Damit nicht genug: «Bei der CSS steht ein Betrag von 77'000 Franken aus», sagt Zihlmann gegenüber der Zeitung. Und während die Versicherung nach eigenen Angaben Rückforderungen von 548'000 Franken per Ende 2022 stellen soll, droht die Visana laut der Notfallpraxis droht mit einem Gerichtsverfahren.
Auf die systematische Falschabrechnungen sollen Ärzte hingewiesen haben. Laut der CSS hätten anschliessende Auswertungen diesen Vorwurf bestätigt.

Aus «heiterem Himmel»

Die Forderungen der Versicherungen kommen laut Ueli Zihlmann aus heiterem Himmel. Die Suva und die Krankenversicherer würden versuchen, den Notfallpraxen ihre selbst gemachten Regeln aufzuzwingen. Zihlmann: Plötzlich werde kritisiert, es könne nicht sein, dass jeder Fall ein Notfall ist. Das könne man so nicht abrechnen.
«Wir finden: doch. Die Praxis wurde im Rahmen der Notfalldienstpflicht der Hausärzte errichtet. Ohne die Notfallpauschale könnte die Praxis nicht kostendeckend betrieben werden», so Zihlmann, der sich über das Vorgehen von Suva und CSS ärgert und es gegenüber der «Luzerner Zeitung» als kompromisslos oder teils als willkürlich bezeichnet.

Abrechnungen «unzulässig»

Die Versicherungen stellen nicht die Notfallpraxis infrage, sondern deren Abrechnungen. So schreibt die Suva auf Anfrage der Zeitung, dass bei der Notfallpraxis Sursee festgestellt worden sei, «dass die Notfallpauschalen systematisch abgerechnet werden». Das sei nicht zulässig.
Hinzu kommt, dass die Versicherungen die Luzerner Institution offenbar als Hausarztpraxis mit besonderen Öffnungszeiten im Sinne einer Permanence erachten. Bloss weil sie als Notfallpraxis bezeichnet werde, würden dort nicht automatisch nur Notfälle behandelt.
Um den Notfall zu definieren, stützen sich die Versicherungen auf den Ärztetarif Tarmed, wonach die Leistungen unter anderem «sofort und verzugslos» erfolgen müssen. Das Geschäftsmodell dürfe nicht darauf ausgelegt sein, dass die Kosten von normalen Behandlungen mit der Notfallpauschale gedeckt werden, kritisiert die CSS.
Die Tarife der Notfallpraxis seien nicht nur überrissen, sondern schlicht nicht legal, sagt Dieter Siegrist, Leiter Wirtschaftlichkeitsprüfung, der zudem auf die FMH verweist.

FMH kontert

Der Berufsverband der Schweizer Ärztinnen und Ärzte kontert: Man fühle sich von den Versicherern instrumentalisiert. «Nur weil die Ärzte bei der Tarmed-Einführung per April 2007 auf die Regeln für die Verwendung der Notfallpauschale hingewiesen wurden, bedeutet das nicht, dass die Interpretation der Versicherer unterstützt werden», sagt Urs Stoffel, Verantwortlicher für ambulante Tarife und Versorgung.
Das Tarifsystem Tarmed sei hoffnungslos veraltet. «Die Regelung zur Notfallpauschale stammt noch aus einer Zeit, als es Notfallpraxen wie jene am Spital Sursee noch gar nicht gab.» Die Interpretation des Tarmed durch die Versicherungen sei kurzsichtig.
Es sei sinnvoller, die Notfallpauschale zu akzeptieren, weil die Behandlung in einer Notfallpraxis deutlich günstiger sei als im Spitalnotfall. Zudem würden die übervollen Notfallstationen in den Spitälern entlastet.

Lösung in weiter Ferne

Die Notfallpraxis in Sursee ist kein Einzelfall. Laut Angaben der CSS, hat der Versicherer einen Austausch mit zehn Notfallpraxen.
In acht Fällen habe man eine Lösung gefunden, beispielsweise durch Rückzahlungen und die Anpassung des Geschäftsmodells.
In Sursee sind die Fronten verhärtet. Ob es zu einer einvernehmlichen Lösung kommt, ist laut der Zeitung fraglich.
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