So könnten Hausarztpraxen entlastet werden

Die Präsidentin von Physioswiss über das ineffiziente Gatekeeper-Modell und den direkten Zugang zur Physiotherapie.

, 29. April 2023 um 05:02
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Mirjam Stauffer: «Die Schweiz zementiert ein Versorgungssystem, welches hinsichtlich Effizienz und angesichts knapper Ressourcen weder der Realität entspricht noch bezahlbar ist. »
Bewegung und Mobilität gewinnen an Bedeutung angesichts der demographischen Entwicklung sowie der Zunahme an chronisch kranken Menschen, die so lange wie möglich mobil zu Hause bleiben wollen.
Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten sind die Spezialisten für Bewegung und Mobilität und ein elementarer Bestandteil der medizinischen Grundversorgung. Anders ausgedrückt: Bewegung und Patientenedukation sind Wirkstoffe der Physiotherapie: Sie verbessern die Bewegungsfähigkeit und stärken Funktionen im Alltag.
Dem Bedürfnis nach einer wohnortsnahen Grundversorgung steht ein sich zuspitzender Fachkräftemangel gegenüber, der alle Professionen des Gesundheitssystems erfasst. Dies betrifft in hohem Mass die hausärztliche Versorgung. Hausärztinnen und Hausärzten werden nach wie vor exklusiv mit der Rolle der Triagierenden versehen. Hier führt ein Mangel also erst recht zu einer Gefährdung der Versorgungssicherheit.

«Es sei die Frage erlaubt, ob es effizient ist, wenn Patientinnen und Patienten immer zuerst eine Hausarztpraxis aufsuchen müssen.»

Es sei die Frage erlaubt, ob es effizient ist, wenn Patientinnen und Patienten immer zuerst eine Hausarztpraxis aufsuchen müssen. Dadurch zementieren wir ein Versorgungssystem, welches hinsichtlich Effizienz und angesichts knapper Ressourcen weder der Realität entspricht noch bezahlbar ist.
Es gibt mittlerweile viele hervorragend ausgebildete Leistungserbringer, die in interprofessionellen Settings ihre hohe Kompetenz in Bezug auf versorgungstechnische Fragen zur Geltung bringen können. Dadurch entlasten sie das Gesundheitssystem und machen es effektvoller.

«Die Physiotherapie hat sich in den letzten 20 Jahren rasant entwickelt.»

Gerade die Physiotherapie hat sich in den letzten 20 Jahren rasant entwickelt. Aus Sicht der Physiotherapie sollen Patientinnen mit Knie- oder Rückenschmerzen, die sie in ihrer Mobilität einschränken, direkt die Physiotherapeutin aufsuchen. Dadurch können Hausarztpraxen entlastet werden.
Müsste es nicht im Interesse des Systems sein, Umwege zu reduzieren oder gar zu vermeiden? Zahlreiche Studien und Erfahrungen aus verschiedenen Ländern zeigen, dass die Kosten für das Gesundheitssystem reduziert werden können, wenn Patientinnen und Patienten für ausgewählte Leistungen direkt in die Physiotherapie gehen. Zudem ist der gesundheitliche Mehrwert des Direktzugangs durch internationale Studien belegt: das Therapieziel wird häufiger vollständig erreicht und/oder es werden weniger Schmerzmedikamente benötigt.

«90 Prozent fühlen sich bei ihrer Physiotherapeutin oder ihrem Physiotherapeuten gut aufgehoben und nehmen sie als kompetente Fachpersonen wahr.»

Das Vertrauen der Bevölkerung in die Physiotherapie ist gross, wie eine Studie der GFS.Bern im Auftrag von Physioswiss aus dem Jahr 2022 zeigt. 90 Prozent der Befragten aus obiger Studie fühlten sich bei ihrer Physiotherapeutin gut aufgehoben und nehmen diese als kompetente Fachperson wahr.
Umso erstaunlicher ist die Haltung des Bundesrats zum Thema Direktzugang zur Physiotherapie, welche er in seiner Antwort anfangs Februar dieses Jahres auf die Interpellation von SP-Ständerat Hans Stöckli geäussert hat. An der bisherigen Praxis, dass der Arzt in jedem Fall der Gatekeeper zu sein hat, wird nicht gerüttelt , da dieses Vorgehen in jedem Fall die WZW-Kriterien erfülle. Dabei wird das Kosteneinsparpotential schlicht negiert.

«Es ist zu hoffen, dass der Bundesrat mit dem Wandel Schritt hält und Gedankenblockaden überwinden wird.»

Diese befremdende Haltung ist angesichts der Entwicklungen im Gesundheitssystem, wie zum Beispiel die Annahme und Offenheit der Bevölkerung für die Pflegeinitiative, dringend zu hinterfragen. Es kann in der aktuellen Situation nicht darum gehen, ein Monopol zu zementieren, sondern es muss trotz Fachkräftemangel eine gute Versorgung sichergestellt werden. Dies wird künftig nur mit neuen Lösungsansätzen und innovativen Versorgungsmodellen möglich sein, die zur Effizienzsteigerung (und im Fall des Direktzugangs sogar zu einer Qualitätsteigerung) beitragen.
Es ist zu hoffen, dass der Bundesrat mit dem Wandel Schritt hält und Gedankenblockaden überwinden wird.
Mirjam Stauffer ist Präsidentin von Physioswiss und selber als Physiotherapeutin tätig..

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