Weshalb Frauen so selten in die medizinische Forschung gehen

Es hat offenbar weniger mit Work-Life-Balance-Fragen zu tun – aber allerhand mit Vorbildern und Mentoren.

, 4. Mai 2016 um 07:08
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Der Befund beginnt schon mit der Ausgangsfrage: Dass Frauen zu selten eine wissenschaftliche Karriere in der Medizin anstreben, ist ein oft erörtertes Thema. Und viele Universitäten und Lehrkliniken schreiben sich ihre Förderung auch an die Fahnen. Aber die Gründe, weshalb es mit der Umsetzung dann doch schlecht klappt, sind immer noch schlecht erforscht. 
Dies war ein erstes Ergebnis einer Untersuchung, welche die Universität Oxford jetzt veröffentlicht hat.
Konkret: Wer etwas über die Ursachen erfahren will, muss sich auf oft dünne und weitgehend auf nordamerikanische Arbeiten stützen.

Resultate aus 30 Jahren

Ein Team unter der Leitung von Alastair Buchan, dem Dean of Medicine der englischen Renommier-Uni, hat 52 Erhebungen über das Karriereverhalten von Medizinerinnen ausgewertet – wobei die Arbeiten einen Zeitraum von dreissig Jahren überspannten (1985 bis 2015).
Die Kernfrage der Meta-Studie: Weshalb ist das Geschlechterverhältnis am Beginn des Medizinstudiums meist ausgewogen – aber so einseitig, sobald es um Forschungsstellen an medizinischen Fakultäten geht?

Laurel D. Edmunds, Pavel V Ovseiko, Sasha Shepperd et al., «Why do women choose or reject careers in academic medicine? A narrative review of empirical evidence», in: «The Lancet», April 2016.

Die britischen Mediziner testeten dabei acht gängige Thesen: Bieten die erfassten Studien dazu klare Aussagen? Oder stimmen die Annahmen etwa gar nicht?
Am Ende fanden Sie Material, mit dem sich vier Thesen untermauern liessen:
1. Frauen interessieren sich mehr für die Lehre als die Forschung.
2. Wenn sich Frauen bereits während der Ausbildung an der Forschung beteiligen können, steigt die Chance, dass sie eine akademische Karriere in Angriff nehmen.
3. Frauen haben weniger Mentoren und «role models», die den Schritt in die medizinische Forschung fördern würden.
4. Frauen erfahren in der medizinischen Ausbildung tatsächlich Diskriminierung oder zumindest einen «Bias» in der Behandlung, der sich negativ auswirkt.
Bei vier anderen Thesen aber waren die Ergebnisse unklar (und liessen sich somit nicht untermauern):
1. Frauen interessieren sich weniger für medizinische Forschung als Männer.
2. Ihr Engagement für die Wissenschaft sinkt im Verlauf der Ausbildung stärker.
3. Finanzielle Bedingungen halten Frauen eher davon ab, den akademischen Weg zu wählen.
4. Work-Life-Balance-Überlegungen und die entsprechenden Sorgen sprechen für Medizinerinnen eher gegen eine wissenschaftliche Karriere.
Kurz: Auf den ersten Blick zeigt sich ein ziemlich diffuses Bild. Oder anders: «Es dürfte wichtige Wechselwirkungen von Faktoren geben, welche die Zu- oder Abneigung der Frauen gegenüber einer Karriere in der akademischen Medizin erklären»: So sagt es Trish Greenhalgh, Medizinprofessorin in Oxford und eine der Beteiligten. 
«Zum Beispiel dürften sich einige unserer Ergebnisse aus dem Phänomen der selbsterfüllenden Prophezeihung und der Bedrohung durch Stereotype erklären – der Idee also, dass wir uns als weniger gut einschätzen, wenn wir gesellschaftlichen Stereotypen widersprechen, und dort folglich schlechtere Resultate erzielen. 

«Women in Science»

Die Oxford University hat soeben eine neue Website lanciert, die sich an Frauen richtet, die an einer Karriere in den medizinischen Wissenschaften interessiert sind.
«Women in Science» bietet zum Beispiel Interviews mit akademischen Medizinerinnen, aber diskutiert auch Karriere-, Finanz- oder Work-Life-Balance-Fragen.
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