So hätte Corona in der Schweiz fast 7000 Tote mehr fordern können

Eine neue Studie hat den Effekt der Corona-Massnahmen des Bundes berechnet.

, 27. Juli 2020 um 12:03
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Hat die Schweiz bei der Bekämpfung von COVID-19 zu spät reagiert? Eine neue Studie von Forschern der Uni Bern zeigt, dass beim Implementieren der Corona-Massnahmen jeder Tag zählte. Mithilfe eines Modell berechneten die Forschenden um Christian Althaus, wie sich eine frühere oder spätere Implementierung auf die Zahl der Infizierten und auf jene der  Todesfälle ausgewirkt hätte. Zur Erinnerung: Am 18. März hatte der Bundesrat die weitgehenden Massnahmen wie Laden- und Schulschliessungen und ein weitgehendes Versammlungsverboten in Kraft gesetzt, die das öffentliche Leben quasi zum Erliegen brachten.

Schnelleres Handeln hätte Todeszahlen massiv reduziert

Die Berner Forscher zeigen nun: Hätte der Bund noch eine Woche länger zugewartet, wären anstatt der rund 2000 Toten fast 8600 Tote zu beklagen gewesen. Das hätte ein Zunahme von 330 Prozent entsprochen. Auch eine dreitägige Verzögerung hätte die Zahl der Toten noch immer fast verdoppelt.
Und wenn der Bundesrat früher gehandelt hätte? Die Berechnungen mit dem Übertragungsmodell von Althaus zeigen, dass sich die Zahl der Toten massiv hätte reduzieren lassen, wenn die Massnahmen eine Woche zuvor erfolgt wäre: Anstatt 2000 Toten wären es dann nur rund 400 gewesen. 14 Tage entschieden also über 8200 Menschenleben.

Nachbarland machte es besser

Ein der Schlüsse, den die Forscher aus ihren Berechnungen ziehen: Für jede Woche, die man mit den Massnahmen zuwartet, braucht es anschliessend über drei Wochen  Massnahmen, um die Zahl der Neuinfektionen wieder auf den Ausgangswert zu senken.Auf Twitter schreibt Christian Althaus zum Handlungszeitpunkt der Schweizer Regierung Folgendes: «Wir sind zwar wieder die beste Nation im Skifahren. Aber in der Pandemie-Bekämpfung waren die Österreicher wohl doch etwas schneller als die Schweizer.»

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Modellberechnungen zu den corona-induzierten Neuinfektionen, den hospitalisierten Patienten, den Todesfällen und der Belegung der Intensivstationen (im Uhrzeigersinn). | Grafik Uni Bern
Doch wieso spielt es eine so grosse Rolle, ob die Massnahmen ein paar Tage früher oder später implementiert werden? Der Reproduktionswert - dieser sagt aus, wie viele Personen jeder Infizierte ansteckt -  lag in der ersten Märzwoche bei 2,6. Schon vor der Implementierung der Hauptmassnahmen vom 18. März sank der Wert- wohl wegen der bereits zuvor getroffenen Massnahmen. Bereits wenige Tage nach dem Implementieren der Massnahmen vom 18. März, der umgangssprachlich häufig als «Lockdown» bezeichnet wurde, sank der Reproduktionswert unter 1 - später sogar auf 0,64. Wie das Modell zeigt, stieg die Zahl der Ansteckungen bis zum 18. März steil an und sank von da an immer weiter ab.
Mit dem Modell probierten die Berner Forschenden auch die Zahl aller COVID-19-Infektionen in der Schweiz zu berechnen. Das Modell ergab einen wahrscheinlichen Mittelwert von 264'000 Personen, die sich bis am 10. Mai mit dem Virus infiziert hatten. Das heisst, dass sich rund 3,1 Prozent der Menschen in der Schweiz zuvor mit dem Corona-Virus infiziert hatten.
Der gesamte Pre-Print der Studie kann hier nachgelesen werden.
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