Unseriöse Adressen-Jäger bringen Kassen in Verruf

Firmen, die sich auf unsaubere Art Adressen von potenziellen Kunden beschaffen, bringen Krankenkassen in Misskredit: Sie verwenden ungefragt deren Logos.

, 6. April 2022 um 14:00
image
  • versicherer
  • groupe mutuel
Die Firma Bee-First hat etliche gute Kunden – so scheint es jedenfalls auf den ersten Blick. Die Logos der beiden Krankenversicherer Groupe Mutuel und der Sympany prangten bis vor kurzem noch auf der Website. Das Freienwiler Unternehmen gibt es erst seit knapp einem Jahr.

Sie arbeiten «mit Herzblut»

Doch schon hat es laut eigenen Angaben ein «eingespieltes Team, das «mit Herzblut» arbeitet. Auch die Firma Wefox in Roggwil gibt sich als seriöses Dienstleistungsunternehmen aus. Auf einer ihrer Website fragt sie die Besucher: «Sie wollen uns helfen, die Leistungen und den Service der Krankenkassen zu optimieren?»

Sofortpreis: Ein Vertreterbesuch

Verbunden ist die Umfrage mit einem Gewinnversprechen: Es werden ein Reisegutschein von 3500 Franken und Migros-Gutscheine verlost. Würden Interessenten allerdings ganz unten auf der Website die unscheinbar platzierten Teilnahmebedingungen anklicken und sich bis zum 3. Punkt durchlesen, würden sie dort erfahren: Jeder Teilnehmer «gewinnt als Sofortpreis eine Gesamtberatung im Bereich Versicherungen und Finanzen» - im Klartext: Sie erhalten Besuch eines Versicherungsvertreters.

Krankenkassen haben Ehrenkodex

Sowohl Beeleads als auch Wefox haben das gleiche Ziel: An möglichst viele Besuchstermine mit Personen zu kommen, denen sie eine Versicherung verkaufen können. Leadgenerierung heisst dieses Geschäft – und es ist bei Krankenkassen verpönt. Denn seit gut einem Jahr gilt unter ihnen die so genannte Branchenvereinbarung «Vermittlung». Sie verbietet telefonische Kaltakquise, legt Qualitätsstandards für die Beratung fest und begrenzt die Höhe der an Vermittler gezahlten Provisionen.

Schutz vor aggressiven Vermittlern

Diese Branchenvereinbarung haben die meisten Versicherer - sie vertreten mehr als 90 Prozent der Versicherten - unterzeichnet. Der Ehrenkodex soll die Kunden vor ärgerlichen Telefonanrufen und aggressiven Vermittlern schützen. In der Vereinbarung steht: «Insbesondere darf keine Umfrage oder Aufgabe der Markt-, Meinungs- oder Sozialforschung oder anderer Institutionen vorgetäuscht oder als Gesprächsbegründung benutzt werden, wenn der Zweck des Anrufs darin besteht, einen Verkauf einzuleiten oder einen Termin für ein Beratungsgespräch abzumachen.»

Krankenkassen wussten nichts von ihrem Logo

Genau das macht aber Wefox. Bee-First verspricht auf ihre Website «Datensätze aus hochwertigen Quellen». Auf Fragen von Medinside nach diesen angeblich hochwertigen Quellen, antwortete die Firma allerdings nicht. Umso schneller kamen hingegen die Reaktionen der beiden Krankenkassen: Beide wussten nämlich nichts davon, dass die Firma ihr Logo auf der Website präsentierte.

Bee-First krebst zurück

«Wir arbeiten nicht mit dieser Firma zusammen», schreibt Serkan Isik, Sprecher der Groupe Mutuel. Die Krankenkasse beziehe ihre Besuchstermine über «thematische Landingpages die Eigentum der Groupe Mutuel sind oder exklusiv von ihr betrieben werden», und über Wettbewerbe, welche sie in den sozialen Medien macht. Bee-First hat mittlerweile das Logo der Gruppe Mutuel entfernt.

Sympany: Aktuell keine Zusammenarbeit

Jacqueline Perregaux, Sprecherin der Sympany-Versicherung, räumt zwar ein: «In der Tat gab es in der Vergangenheit eine Zusammenarbeit zwischen Bee-First und Sympany, zuletzt im Jahr 2020.» Doch: «Aktuell besteht keine Zusammenarbeit; entsprechend beziehen wir auch keine Leads bei diesem Unternehmen.» Seit Abschluss der Branchenvereinbarung bezieht Sympany gar keine Leads mehr von anderen Firmen.

Visana, Swica und CSS ebenfalls missbraucht

Auch andere Krankenkassen wurden schon von unseriösen Firmen in Misskredit gebracht: Die Firma Pegasos, die laut Recherchen der Konsumentenzeitschrift «K-Tipp» mit angeblichen Umfragen Besuchstermine für Vertreter erschleicht, führte auch Visana, Swica, Sanitas, Progrès und CSS ohne ihr Wissen als «Partner» auf. Auf Intervention der Kassen hat sie die Logos entfernt.
image
Die Firma Pegasos Finance führte fünf Krankenkassen als ihre «Partner» auf. Sie musste die Logos entfernen. | Screenshot 2021

Lucius Dürr: «Das ist Schlangenfängerei»

Die oben erwähnte Branchenvereinbarung zu den Vermittlern gibt es seit zwei Jahren; die Einhaltung wird von einer Aufsichtskommission kontrolliert. Deren Präsident ist Lucius Dürr. Er war bis 2016 Direktor des Schweizerischen Versicherungsverbandes. Ihm ist bekannt, dass die Firmen mit Logos von Krankenkassen werben, ohne dass diese davon wissen. Für ihn ist auch klar, dass für Krankenkassen die Zusammenarbeit mit solchen Firmen inakzeptabel wäre. Zu dem Vorgehen wählt er deutliche Worte: «Das ist Schlangenfängerei. Es ist absolut plump, mit unsinnigen Umfragen Adressen zu ködern.»

Kommission kann nichts ausrichten

Allerding sind der Aufsichtskommission bezüglich der Vermittler die Hände gebunden. Die Branchenvereinbarung gilt nur für Versicherer. Diese sind jedoch verpflichtet, die Qualitätsbestimmungen bei den Vermittlern, mit denen sie zusammenarbeiten, durchzusetzen. Die Vermittlungsfirmen agieren meistens nur als Vermittler. Wefox verkauft zwar auch Autoversicherungen, ist aber nicht Mitglied eines Krankenversicherungsverbandes.
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Neue CEO für Atupri

Caroline Meli heisst die Nachfolgerin von Christof Zürcher.

image
Die Schlagzeile des Monats

«Tarifkrise? Er macht sich das natürlich relativ einfach»

In unserer Video-Kolumne befragt Paul Bannister Experten aus der Branche zu aktuellen Fragen. Diesmal: Peter Hug, stellvertretender CEO von KPT.

image

Sanitas und Helsana gehen zu Curafutura zurück

Der Krankenkassenverband Curafutura wird wiederbelebt – zumindest vorübergehend. Zwei grosse Kassen treten wieder ein.

image
Gastbeitrag von Yvonne Feri

Patienten zwischen Hammer und Amboss

Im Gesundheitswesen brennt es primär bei den Kosten – so die allgemeine Wahrnehmung. Wenn das so weitergeht, brechen düstere Zeiten an für Menschen mit chronischen Krankheiten.

image

So soll der Direktor des neuen Krankenversicherungs-Verbands sein

Ideal wäre ein Ökonomie- oder Jus-Abschluss, denkbar ist auch ein 80-Prozent-Pensum.

image

Nun gibt es Bussen für Kassen, die nicht sauber werben

Krankenkassen, die gegen die Vermittlungsregeln verstossen, werden künftig bestraft: Sie müssen bis zu 100'000 Franken zahlen.

Vom gleichen Autor

image

SVAR: Neu kann der Rettungsdienst innert zwei Minuten ausrücken

Vom neuen Standort in Hundwil ist das Appenzeller Rettungsteam fünf Prozent schneller vor Ort als früher von Herisau.

image

Kantonsspital Glarus ermuntert Patienten zu 900 Schritten

Von der Physiotherapie «verschrieben»: In Glarus sollen Patienten mindestens 500 Meter pro Tag zurücklegen.

image

Im Schaufenster stehen vor allem unwirksame Medikamente

Bieler Ärzte schlagen eine neue Etikette für rezeptfreie Arzneimittel vor. Sie soll zeigen, wie verlässlich die Wirksamkeit nachgewiesen worden ist.