Transformation der Spitallandschaft Schweiz: Disruptiv oder evolutiv?

Die neue Spitalfinanzierung wird mittelfristig auf evolutivem Wege eine Bereinigung und Konzentration im Spitalbereich bewirken. Da am Ende weniger Häuser mit hoher Effizienz die Versorgung sicherstellen werden, ist eine Kostendämpfung zu erwarten.

, 12. September 2020 um 07:37
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Die nun aber erfolgten respektive auf 2021 angepeilten Staatseingriffe werden disruptive Effekte zeitigen. Es braucht darum im Moment keinen Interventionismus, sondern eine Denkpause, wie die Spitalfinanzierung weiter zu entwickeln ist. Eine evolutive Marktbereinigung ist einem Kahlschlag im fragilen Bereich der Gesundheitsversorgung bei weitem vorzuziehen.
Die Umwandlung unserer Spitallandschaft ist spätestens seit der neuen Spitalfinanzierung 2012 im Gange. Sie soll sich auf Grund des sich entwickelnden Wettbewerbs um Qualität und Leistungsangebot primär evolutiv entwickeln und nicht durch politisch‐administrative Massnahmen disruptiv. So will es die seit 2012 geltende Spitalfinanzierung über Fallkostenpauschalen. Ökonomisch gefährdete Spitäler sind durch ihre Führungsorgane durch betriebliche Massnahmen zu sanieren, in Ambulatorien umzuwandeln oder in andere Häuser zu integrieren. Während die Geschäftsleitungen und Verwaltungsräte primär auf Grund von betriebswirtschaftlichen und nicht auf Grund politischer Überlegungen agieren, steuert die Politik ihre Versorgungsbedürfnisse über die kantonalen Leistungsaufträge. Heute drohen nun von zwei Seiten her Massnahmen mit disruptivem Potential für die Spitäler: Einerseits durch die vom Bundesrat in Vernehmlassung gegebene Revision der Verordnung zum KVG (KVV); andererseits durch die Weigerung von Bund und Kassen, sich an den durch den Bundesrat wegen Covid bestellten maximalen Vorhalteleistungen bei den Spitälern zu beteiligen: Bedingt durch das daraus resultierende Behandlungsverbot entstanden den Häusern gravierende Ertragsausfälle. Beide politischen Eingriffe werden – vor allem kumulativ – die Spitallandschaft disruptiv treffen.

Sind drei Viertel der Spitäler zu teuer

Geändert werden sollen mit der KVV Revision die Vergleiche der Spitalkosten, die gemäss Krankenversicherungsgesetz zur Ermittlung der Tarife für stationäre Spitalbehandlungen durchzuführen sind. Bisher hat sich in der Praxis ein Preisniveau etabliert, mit dem etwa die Hälfte der Spitäler seine Kosten decken konnte. Mit seinem Eingriff will der Bundesrat das Effizienzmass neu verbindlich auf das 25. Perzentil absenken. Das bedeutet, dass 75 Prozent der Spitäler ihre Dienstleistungen zu einem zu hohen Preis erbringen und sich mit Kürzungen konfrontiert sähen. Resultat wäre, dass mit den resultierenden Tarifen nur 25 Prozent der Spitäler ihre Kosten decken könnten, 75 Prozent der Spitäler würden einen Verlust erleiden. Dieser massive Tarifeingriff erfolgt vor dem Hintergrund, dass die nachhaltige Finanzierung der Schweizer Gesundheitsversorgung schon heute nicht sichergestellt ist: Eine grosse Mehrheit der Spitäler erreicht ihre für die langfristigen Zukunftssicherung notwendigen Ertragsmargen seit Jahren nicht. 2018 erreichten gemäss PWC gerade mal 7 Spitäler eine EBITDAR-Marge von über 10 Prozent. Im Vorjahr waren es noch 9 Spitäler. Während 2017 noch 17 Spitäler 8 Prozent Marge und mehr erzielten, waren es 2018 Jahr nur noch 15 Spitäler. Die Inkraftsetzung der Verordnungsänderungen reisst nun ein noch viel grösseres Loch: Es würden pro Jahr insgesamt bis zu CHF 1.2 Mia. in der Spitalfinanzierung fehlen. Wer diese Unterdeckung finanzieren soll, ist offen. Naheliegend ist, dass Kantone und Gemeinden mit GWL und anderen Subventionen einspringen müssten, wenn infolge Schliessungen keine Unterversorgung resultieren soll. Die Folgen der KVV Revision liegen somit auf der Hand: Ohne Subventionen der bis zu 120 Spitäler, die gemäss H Plus vom ökonomischen Scheitern und damit von der Schliessung bedroht sind, wird die Qualität der Gesundheitsversorgung je nach Finanzstärke der Regionen nach dieser KVV Anpassung sehr unterschiedlich sein.

Corona: Nicht gedeckte Vorhalteleistungen

Das alleine könnten ökonomisch fitte Spitäler noch stemmen. Am 16.März 2020 beschloss der Bundesrat in der COVID-19 Verordnung 2 mit Art. 10a folgende Verpflichtung zur Bereitstellung von Vorhalteleistungen für alle Gesundheitseinrichtungen: "1 Die Kantone können private Spitäler und Kliniken verpflichten, ihre Kapazitäten für die Aufnahme von Patientinnen und Patienten zur Verfügung zu stellen. 2 Gesundheitseinrichtungen wie Spitäler und Kliniken, Arztpraxen und Zahnarztpraxen müssen auf nicht dringend angezeigte medizinische Eingriffe und Therapien verzichten."
Diese Verordnung hatte markante Mehrkosten sowie Mindererträge bei Akutspitälern, Psychiatrien, Reha Kliniken und in Ambulatorien zur Folge. Die Spitäler mussten in dieser Zeit einsatzbereit sein, konnten aber aufgrund des Behandlungsverbotes keine Erträge generieren. Gemäss Schätzungen von H Plus und des Vereins SpitalBenchmark könnte sich der Schaden bis Ende April 2020 auf rund 1.5 bis 1.8 Mia. Franken schweizweit belaufen. Rund 80 Prozent des Gesamtschadens entfallen auf die Ertragsausfälle aufgrund der maximalen Vorhalteleistungen in Form des Behandlungs- und Operationsverbots, welches vom 16. März bis 26. April galt. Im Kanton Aargau beläuft sich der Gesamtschaden nach Schätzungen des Regierungsrates auf 95 Mio. CHF. 20 Prozent entfallen auf Corona bedingte Zusatzkosten. Nach Lage der Dinge (Stand: Mitte September) kann je nach Grundauslastung der Häuser ein Teil der Ausfälle wieder aufgeholt werden; doch bereits wird deutlich, dass die Mehrkosten verbunden mit den Ertragsausfällen nicht einfach kompensiert werden können und sicherlich die Jahresabschlüsse deutlich belasten werden. Damit geraten etliche Spitäler auch im Bereich ihrer Ratings und Finanzierungskonditionen im Zusammenhang mit Infrastrukturprojekten in die Schieflage. Die Abgeltung dieser Vorhalteleistungen sollte vom Bund via GDK (Schweizerische Gesundheitsdirektorenkonferenz) mit den Kantonen und Kassen koordiniert werden, um kantonale Ungleichbehandlungen zu vermeiden. Eine einfache und faire Formel zum Beispiel nimmt Bezug zum in der Vergangenheit erwirtschafteten EBITDAR der Häuser. Die Differenz des 2020er EBITDAR des Hauses zum 2019/18 im Schnitt erreichten EBITDAR würde als Schadenssumme bezeichnet und durch die Kostenträger mit einer Einmalzahlung teilweise oder ganz ausgeglichen. Diese Methode kann für alle Spitalarten angewandt werden und berücksichtigt auch Nachholeffekte im laufenden Geschäftsjahr 2020. Die Politik kann unabhängig von der tatsächlich eingetretenen Schadenshöhe immer noch entscheiden, wie hoch die Entschädigung für die Gesundheitsinstitutionen sein soll, etwa durch Festlegung eines Quotienten (z. B. 75 % des Schadens), welcher angewendet wird. Die Höhe der Entschädigung muss sehr umsichtig festgelegt werden, die Spitäler und Kliniken sollen nicht als "Krisengewinner" dastehen, auch soll damit keine Strukturerhaltung betrieben werden.

Kumulativ droht ein Kahlschlag

Wiederholt erklärten bisher Bundesrat und Kassen, dass sie sich nicht an den Kosten für die Vorhalteleistungen beteiligen werde. Dies sei Sache der Kantone. Verschiedene Standesinitiativen aus den Kantonen AG, ZH, SH, BS und GE wollen dies nun ändern, getreu dem Motto: "Wer befiehlt, soll auch zahlen". Die neue Spitalfinanzierung wird mittelfristig auf evolutivem Wege eine Bereinigung und Konzentration im Spitalbereich bewirken. Da am Ende weniger Häuser mit hoher Effizienz die Versorgung sicherstellen werden, ist eine Kostendämpfung zu erwarten. Die nun aber erfolgten respektive auf 2021 angepeilten Staatseingriffe werden disruptive Effekte zeitigen. Es braucht darum im Moment keinen Interventionismus, sondern eine Denkpause, wie die Spitalfinanzierung weiter zu entwickeln ist. Eine evolutive Marktbereinigung ist einem Kahlschlag im fragilen Bereich der Gesundheitsversorgung bei weitem vorzuziehen.
Daniel Heller ist Verwaltungsratspräsident der Kantonspital Baden AG und der privaten Gruppe Klinik Barmelweid AG. 
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