Santésuisse: «Das übertrifft unsere schlimmsten Befürchtungen»

Neue Zahlen zeigen: Im ersten Halbjahr sanken zwar die Kosten pro Arztkonsultation, dafür haben die Arztbesuche zugenommen.

, 8. Oktober 2018 um 07:53
image
  • ärzte
  • praxis
  • politik
  • gesundheitskosten
  • versicherer
Im ersten Halbjahr 2018 sanken die Kosten pro Arztkonsultation im Schnitt um zehn Prozent. Doch im gleichen Zeitraum haben die Arztkonsultationen um elf Prozent zugenommen. Dies belegen offenbar Zahlen, die der Krankenkassenverband Santésuisse auf Anfrage der Zeitung «Sonntags Blick» zusammengestellt hat. 
Santésuisse-Geschäftsführerin Verena Nold hat für diesen Anstieg kein Verständnis: «Die Behandlungszeit ist angemessen, um die Patienten optimal zu betreuen, sagt sie der Zeitung. Es gehe um medizinische Leistungen, diese müssten im Zentrum stehen. «Für anderes ist der Arzt nicht zuständig», so Nold weiter. Maximal 20 beziehungsweise 30 Minuten pro Sitzung dürfen Haus- und Kinderärzte seit Anfang des Jahres in der Regel noch aufwenden.

«Selbstbedienungsmentalität?»

Verrechnen die Ärzte also einfach mehr Konsultationen, um die Zeitlimiten zu umgehen? Fast neun von zehn Haus- und Kinderärzte sehen bekanntlich die vom Bund vorgegebenen Zeitlimiten als grösseres oder sehr grosses Problem, so das Resultat einer Umfrage des Verbands der Haus- und Kinderärzte Schweiz (MFE). 30 Prozent der Haus- und Kinderärzte gaben an, dass sie nicht mehr alle erbrachten Leistungen in Rechnung stellen.
Zudem sagen 41 Prozent der Befragten in der Santésuisse-Studie, «auf andere Tarifpositionen auszuweichen». Verena Nold dagegen gibt sich gegenüber der Zeitung schockiert: «Das übertrifft unsere schlimmsten Befürchtungen». Die Hausärzte machten zwar «grundsätzlich gute Arbeit», das Ergebnis der Studie sei jedoch skandalös. «Das zeugt von einer unglaublichen Selbstbedienungsmentalität», leidtragende seien die Patienten aufgrund höherer Prämien.

BAG sammelt eigene Daten

«Dass Ärzte auf andere Tarifpositionen ausweichen, heisst nicht, dass sie etwas Illegales machen». Dies sagt Yvan Rielle vom Verband MFE der Zeitung «Sonntags Blick». Die Mediziner nutzten so «den Spielraum innerhalb des Systems», um die erbrachten Leistungen abrechnen zu können.
Der Verband MFE fordert, die Zeitlimiten wieder abzuschaffen. Diese berücksichtigten den Aufwand für Koordinationsarbeit wie das Schreiben von Berichten oder Telefonate mit Eltern und Schulen viel zu wenig. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) will am jetzigen System aber festhalten. Man sammle derzeit eigene Daten, die 2019 ausgewertet sein sollen.

MFE zweifelt an den Santésuisse-Zahlen 

Der Verband MFE stellt den Anstieg der Konsultationen um 11 Prozent grundsätzlich in Frage: «Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass Haus- und Kinderärzte Patientinnen und Patienten häufiger aufbieten», schreibt der Verband in einer Stellungnahme. Entsprechende Zahlen seien zudem (noch) nicht verfügbar und die Grundlagen für die vom «Sonntags Blick» publizierten Santésuisse-Zahlen unbelegt. Deshalb bleibe auch «im Dunkeln, welche Ärzte für den behaupteten Anstieg verantwortlich sein sollen».
Angesichts des Haus- und Kinderärztemangels fehlten zudem ganz einfach die Kapazitäten, um häufiger Konsultationen durchzuführen, steht dort weiter. «Die angebliche Zunahme der Konsultationen pauschal den Haus- und Kinderärzten anzulasten, ist schlicht unseriös», schreibt der Verband.
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Viele Ärzte wollen 100 Prozent geben – und geben bereits 150

Besonders die guten Mediziner sind davon betroffen: Sie arbeiten sehr gut. Und sind trotzdem immer überzeugt, es sei zu wenig.

image

Das könnte die Schweiz vom deutschen E-Rezept lernen

Deutschland müht sich damit ab, das elektronische Rezept einzuführen – aber bisher machte kaum jemand mit.

image

Krankenkassen müssen Medikamenten-Rabatte genauer abrechnen

Der Bundesrat will, dass die Krankenkassen korrekt angeben, wie viel sie tatsächlich für Arzneimittel vergüten.

image

Warnung vor Depakine: Mögliche Risiken auch für Kinder behandelter Väter

Bei Kindern von Vätern, die mit dem Epilepsie-Präparat Valproat behandelt wurden, könnten neurologische Störungen auftreten. Auch Swissmedic reagiert.

image

Zwei Aargauer Ärzte wegen Nazi-Vergleich verurteilt

Zwei ehemalige Kaderärzte des Kantonsspitals Aarau wurden wegen übler Nachrede gegenüber Javier Fandino verurteilt.

image

Die Digitalisierung von klinischen Studien: Fortschritte in der Medizintechnik auf dem Weg zu papierlosen Verfahren

Klinische Studien stellen aufgrund ihrer langwierigen Durchführung, der anspruchsvollen Teilnehmerrekrutierung und der hohen Verfahrenskosten den kostenintensivsten Bestandteil des Produktentwicklungsprozesses* dar.

Vom gleichen Autor

image

Studie zeigt geringen Einfluss von Wettbewerb auf chirurgische Ergebnisse

Neue Studie aus den USA wirft Fragen auf: Wettbewerb allein garantiert keine besseren Operationsergebnisse.

image

Warum Medizinstudierende im Studium ihre Empathie verlieren

Im Laufe eines Studiums nimmt offenbar das Einfühlungsvermögen von angehenden Ärztinnen und Ärzten ab. Dies zeigt eine neue Studie.

image

Berner Arzt hat Aufklärungspflicht doch nicht verletzt

Im Fall einer Nasen-OP mit Komplikationen verneint das Bundesgericht eine Pflichtverletzung eines Berner HNO-Arztes. Die Vorinstanzen haben noch anders entschieden.